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RTL-Dokumentation über angebliches Doppelleben Gaddafis hinterlässt Zuschauer etwas ratlos

VonRingo Later

Apr 5, 2012 #featured

ROME - JUNE 10: Libya's leader Muammar Gaddafi attends a meeting with Italian Prime Minister Silvio Berlusconi at Villa Madama on June 10, 2009 in Rome, Italy. Gaddafi, making his first visit to Italy arrived at the head of a 300-strong delegation to strengthen ties between Libya and Italy. (Photo by Franco Origlia/Getty Images)

ROME - JUNE 10: Libya's leader Muammar Gaddafi attends a meeting with Italian Prime Minister Silvio Berlusconi at Villa Madama on June 10, 2009 in Rome, Italy. Gaddafi, making his first visit to Italy arrived at the head of a 300-strong delegation to strengthen ties between Libya and Italy. (Photo by Franco Origlia/Getty Images)

Eine gute Reportage lässt die Bilder sprechen. Die Bilder sind die Sprache der TV-Kunst. Wenn sie nicht stimmen, stimmt die ganze Reportage nicht. Die verdiente RTL-Kriegs-Frontfrau Antonia Rados wagte den mutigen Schritt, ein halbes Jahr nach dem vom westlichen Kriegsbündnis NATO herbeigebombten Ende des libyschen Regimes um Muhammed al Gaddafi, einem Gerücht nachzugehen, wonach der Diktator Gaddafi „ein Doppelleben“ geführt habe: „Das Doppelleben des Diktators – Antonia Rados auf den Spuren des Vergewaltigers Muammar al-Gaddafi“, verlautete es auf RTL am Montagabend ab 22 Uhr.

Schade: Nahezu vergebens wartet der Zuschauer auf Dokumente, die diese These unterstützten könnten. Stattdessen hören wir permanent Antonia Rados aus dem Off sprechen und erklären. Wo die Bilder schweigen, redet Rados.
Interessant ist die Aussage von Aisha, der krebskranken ehemaligen Gaddafi-Leibwächterin. Sie verneint die Frage, ob sie glaube, Gaddafi habe seine Position dazu missbraucht, um unzählige Frauen zu vergewaltigen mit den Worten, „das glaube ich nicht“. Im Gegenteil, so Aisha. Sie selbst sei immer sehr gut behandelt worden. Diese bildlich eingefangene Aussage relativiert Rados, indem sie dem Zuschauer sein Urteil nicht selbst überlässt, sondern sagt, was er wohl denken solle: „Für Aisha ist es wohl unmöglich darüber zu reden“, so Rados.

Es folgen zahlreiche Gerüchte, die Gaddafi als übelsten Tyrannen darstellen sollen. Dazu gehört auch die Aussage eines wenig seriös wirkenden „Rebellenkommandanten“, der behauptet, Gaddafi habe Drogen verteilen lassen. Das stärkt seltsamerweise aber nicht die These, wonach Gaddafi ein Massenvergewaltiger gewesen sei, sondern bringt einen als Zuschauer eher auf Distanz. Zu offensichtlich ist die mangelnde bildliche qualitative Untermauerung dieser Drogen-Behauptung.

Dann folgt wieder ein Rados-Hinweis, wonach Gaddafi „Frauen in die Falle gelockt“ habe. Schon „bei der ersten Begegnung missbrauchte der Diktator sie“, heißt es. Und weiter: „Es war ein Schock für die meisten. Einige wurden verstoßen oder verschwanden. Übersetzerinnen, Sekretärinnen.“ Doch: Auch hier sind die TV-Bilder nicht da, die das dokumentieren könnten. Hilfreich wären beispielsweise umfangreiche polizeiliche Ermittlungen gewesen, wie das halt normalerweise in Entführungen der Fall ist. Konkrete Beweise, mehrere glaubhafte Zeugenaussagen zu einem Vorgang, statt nur einer.

Von Verschleppungen

Wir hören von einer Frau, die wiederum den Job gehabt haben soll, andere hübsche Frauen zu finden und Gaddafi zuzuführen. Sie habe die Frauen aus Restaurants, Hotels, regelrecht „verschleppt“. Doch: Außer einer off-sprechenden Rados sehen wir nicht viel. Wenn denn so viele Frauen vergewaltigt und entführt wurden: Es wäre doch jetzt an der Zeit, aufzustehen, vor Gericht eine Wiedergutmachung einzuklagen. Doch auch hier folgt man etwas ratlos der großen RTL-Kriegs-Frontfrau Rados.

Auch diese These hat einen etwas faden journalistischen Beigeschmack: Obgleich bekannt ist, dass Gaddafi panische Angst vor Krankheiten hatten, wird in Rados Doku die etwas abenteuerlicher These angedeutet, Gaddafi habe sich möglicherweise über Mittelsmänner dubiose Potenzmittel aus anderen afrikanischen Staaten beschafft, „damit er noch mehr Mädchen haben konnte“. Doch: Warum sollte er sich mit dubiosem Hokuspokus einlassen, wenn ein Milliardär, wie er, sich tonnenweise Viagra hätte kaufen können?

Und wieder spricht Rados von „Gaddafis Vergewaltigungs-System“. Tagelang habe Gaddafi Frauen festgehalten, um sie als Sexsklavinnen zu missbrauchen, heißt es. Jedoch: Wenn es denn so viele waren – wo sind sie? Außer im Off von RTL ist nicht viel zu hören. Es folgt dafür ein Bericht von Rados: Eine von Gaddafi vergewaltigte junge Frau, so um die 16 Jahre jung, sei schließlich mit ihrem Freund bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Eine weitere gewagte Aussage in der TV-Dokumentation: Die Millionen Libyerinnen hätten zunehmend Kopftuch getragen, um sich dem Zugriff von Gaddafis Häschern zu entziehen. Einen Beleg für diese Aussage gibt es leider auch nicht.

Von Abtreibungen

Am stärksten ist Rados Fund, wonach Gaddafi in seiner Wohnung auf dem Gelände der Universität einen gynäkologischen Operationssaal für Frauen hatte, die abtreiben wollten. Das könnte man aber auch zweierlei interpretieren. So dramatisch die OP-Bilder sind: Es ist zulässig, die These zu vertreten, dass Gaddafi möglicherweise auch engere Beziehungen zu Studentinnen pflegte, die möglicherweise auch auf freiwilliger Basis liefen und es sich nicht nur, wie Rados sagt, stets um Vergewaltigungen handelte. Zudem – so beklemmend die Vorstellung ist: Er hätte obendrein sowohl die Mädchen, die er möglicherweise vergewaltigte, als auch die Mädchen, die vielleicht freiwillig mit ihm eine Beziehung unterhielten, komplett ihrem Schicksal überlassen können… wie das die meisten Diktatoren machen….

Eine Frau, die abtreiben lässt, muss ja Monate später noch zu Gaddafi oder seinem Umfeld engen Kontakt gehabt haben. Die Abtreibungen hätten jedenfalls Gaddafis attraktive ukrainische Krankenhelferinnen vorgenommen, erklärt Rados. Doch nur eine sehen wir in dem Bericht – und sie wirkt alles andere, als bestial. Im Gegenteil: Sie hatte unter Gaddafi so viel verdient, dass sie sich in der Ukraine zwei Häuser kaufen konnte und nun recht wohlhabend lebt und glücklich wirkt. Sie sagt, sie sei niemals von Gaddafi schlecht behandelt worden.

Obwohl Rados keine wirklichen Beweise hat, sieht sie die Sache jedoch eindeutig: Gaddafi habe (stets) junge Studentinnen auch entführen lassen, um sie in seinen Gemächern zu missbrauchen. Eine Frau wird dabei als Kronzeugin angeführt, die „in letzter Sekunde“ habe entwischen können. Nun ist es mit solchen Erzählungen wie häufig im Leben: Man setzt gerne einen drauf. Wirklich glaubhaft wirkt die angeführte Zeugin jedenfalls nicht. Die Vergewaltigungs-These ins Schwanken bringt obendrein ein von Rados interviewter Sicherheitsmann, der wohl schon zu Gaddafis Zeiten Dienst auf dem Gelände machte. Er berichtet lediglich davon, er sei dabei gewesen, wie Gaddafi „Mädchen eingeladen“ habe.

Die zweitstärkste und auch glaubwürdigste Szene in der Dokumentation, ist eine Aussage von Männern in einer Stadt, die Gaddafi vorwerfen, er habe Dörfer oder Städte dadurch bestraft, dass er sich einzelne Frauen genommen habe, und Schande über die Familien brachte. Das wären dann wirklich Vergewaltigungen gewesen. Obendrein hätten diese Städte oder Dörfer Gaddafi Geschenke machen müssen, beispielsweise luxuriöseste Villen, damit er nicht ganze Kommunen abstrafte, wenn ihm etwas nicht zupass kam. „Am Ende des Besuches ist mir klar, dass Gaddafi Ehefrauen schändete“ so Rados Fazit.

Mutiger Versuch, aber ratlose Zuschauer

Es gibt zahlreiche weitere, mal glaubhaftere, mal weniger glaubhafte Aussagen, oft aber vor allem mangelnd untermauerte Behauptungen. Unterm Strich hat man deshalb doch etwas das Gefühl, dass Antonia Rados sicherlich das Gute wollte, sich für möglicherweise geschundene Frauen einzusetzen. Doch letztlich ist es mit einer TV-Dokumentation so, wie vor Gericht: Es zählen nur die Beweise. Rados scheint sich einfach etwas in ihrem Eifer, nachträglich in einem Unrechtsstaat der Gerechtigkeit, der Aufklärung, auf die Beine zu helfen, etwas verrannt zu haben. Das ist aber auch ok. Es ist der Mühe wert. Die Doku hätte dadurch vielleicht gerettet werden können, wenn sie stärker auf das deutsche Konjunktiv zurückgegriffen hätte und mutig an den Stellen zu Lücken gestanden hätte, wo es halt keine Beweise gibt.

Dem TV-Sender RTL ist es hoch anzurechnen, dass er Rados Dokumentation am Montag eine sehr gute Sendezeit noch vor 23 Uhr zur Verfügung gestellt hat. Für den Zuschauer bleiben zumindest schlaglichtartige Impressionen über die Zustände in Libyen – in denen sicherlich nicht nur Gaddafi bösartige Züge hatte, sondern zahlreiche beteiligten Menschen, die bis heute in Libyen viele Fäden in der Hand haben.

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3 Gedanken zu „RTL-Dokumentation über angebliches Doppelleben Gaddafis hinterlässt Zuschauer etwas ratlos“
  1. Was mir hier gar nicht ins Bild passt ist die verkappte Viagra-Werbung. Sorry, das noch als Beweis für einen Nicht-Beweis zu nehmen hat doch gerade die journalistische Qualität dieser RTL-Doku 🙂

  2. Also diese Krankenschwester, die ja die komplette große Familie verarztete sagt, dass wegen der riesigen Familie und seiner Frau nicht mal sexuelle Anspielungen geben konnte und dass er unter „Papa“ oder sowas lief.

    Youtube-Interview mit Gaddafis Krankenschwester
    LIBYA: Nurse talks about life with Gadhafi http://www.youtube.com/watch?v=EuArw3N6Kdk

  3. Ich erlaube mir, auf einen Artikel meinerseits hin zu weisen, der sih mit dem gleichen Thema befasst.
    Danke, Johannes Löw

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