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Günther Jauch TV-Kritik: Trauma bei Soldaten – Spuren des Krieges wie in Afghanistan

VonPeter Patzow

Jun 11, 2012 #featured

Am Sonntagabend diskutierte der Moderator Günther Jauch mit mehreren prominenten Gästen die Frage: Was bedeutet Krieg, was bedeutet Kriegsgrauen für die betroffenen Soldaten. Am Rande sollte auch diskutiert werden: Was können wir tun, damit der Beruf des Soldaten in Deutschland den Respekt erhält, der ihm gebührt? Eine TV-Kritik.

Überschattet wurde die Diskussionsrunde von der schrecklichen Nachricht, dass sich im Jahr 2012 täglich ein US-Soldat umgebracht hat. Es ist eine der höchsten Suizidraten in der Militärgeschichte der USA. Besonders junge Soldaten beendeten ihre Leben durch teils auch grausame Selbsthinrichtungen und Selbstmorde. Viele waren verkrüppelt aus Afghanistan zurückgekommen, waren blind, taub, hatten Arme oder Beine oder gleich beides verloren, hatten entstellte Gesichter, übersäht von Brandnarben.

Ja, Kriege kosten Tote. Ja, Kriege kosten Gesundheit und Würde. Dass die Frage des mangelnden Respekts gegenüber deutschen Bundeswehr-Soldaten auch 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch ein großes Thema ist, belegt, dass ein Artikel, der sich genau mit diesem Thema beschäftigte hatte, auf dem pazifistischen Portal kriegsberichterstattung.com insgesamt 5.400 Facebook-Empfehlungen erhalten hatte – Tausende darunter waren selbst Bundeswehr-Mitarbeiter und Soldaten.

Von Kriegsgrauen genug hat die bekannte TV-Journalistin Luc Jochimsen. Sie ist ehemalige Chefredakteurin der ARD beim Hessischen Rundfunk. Heute ist sie als Bundestagsabgeordnete der LINKEN aktiv. Sie sagte, sie sehe fast sämtliche kriegerische internationale Auseinandersetzungen, in die Deutschland derzeit verwickelt sei, äußerst kritisch: Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan (oder geplante in Syrien oder dem Iran) seien verfassungswidrig. Sinngemäß meinte sie, man habe auf Grund der geschichtlichen Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg und dem Zweiten Weltkrieg nicht umsonst den deutschen Militärminister heute „Verteidigungsminister“ genannt und nicht „Angriffsminister“.

Weiter führte Jochimsen aus, „dass Deutschland über Jahrzehnte sehr gut damit gelegen hat, dass Deutschland nur im Verteidigungsfall agiert“. Auch sehe es Jochimsen überhaupt nicht ein, warum Deutschland plötzlich eine Angriffsarmee habe. „Ich halte das für verfassungswidrig“, sagte die Journalistin. Die Bundeswehr verstoße als Angriffsarmee gegen ihren Verfassungsauftrag.

Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist sich keiner Schuld bewusst. Deutschland sei nun einmal Mitglied in der NATO und müsse entsprechend internationale Verantwortung tragen. Der Meinung ist auch der 91-Jährige Heinz Otto Fausten. Er war Soldat im Zweiten Weltkrieg: „Wir sind von Freunden umgeben und müssen, wenn man uns fragt, auch helfen“, ist er sicher.

Dass Kriege aber auch Tod, Schmerz und Verkrüppelungen – seelisch oder körperlich – mit sich bringen, darauf wies der Bundeswehr-Soldat Robert Sedlatzek-Müller hin. Er sagte, er leide auf Grund seiner Auslandseinsätze im Kosovo und in Afghanistan heute unter einer posttraumatische Belastungsstörung. Seit Jahren habe er einen Tinnitus und leide unter körperlichem Kriegszittern. Dabei sei er froh, dass er das heute wenigstens in einer Therapie behandeln lassen könne.

Im Jahr 2002 überlebte er nur knapp eine Raketenexplosion. Sedlatzek-Müller führte aber auch aus, dass es ihn bedrücke, dass er als Soldat in Deutschland einfach nicht genügend Akzeptanz und Respekt erhalte. Oftmals stoße er auf Ablehnung, da er heute beispielsweise gegen einen Krieg in Afghanistan sei. Eine Psychiaterin gab zu Protokoll, man könne heute wenigstens Soldaten helfen, die unter Alpträumen litten und diese zurückdrängen. Früher sei das eher nicht möglich gewesen.

Von Kriegstraumata sprach auch Fausten, ehemaliger deutscher Panzergrenadier im Zweiten Weltkrieg. Man könne das Sterben, das Grauen des Krieges, die körperlichen Verletzungen und Verstümmelungen, niemals vergessen, warnte Fausten.

Trotz der enormen Risiken für die Gesundheit und das Leben von Soldaten auch der Bundeswehr, sagte Verteidigungsminister Thomas De Maizièr, dass auch Deutschland eine Pflicht habe innerhalb des westlichen Verteidigungs- und Kriegsbündnisses NATO militärisch mitzuwirken „wenn der Frieden versagt“. Seine Überzeugung: Soldaten seien Helfer, Beschützer, aber auch Kämpfer. Soldaten sind aber auch zum Sterben da: 51 deutsche Soldaten verloren bislang in Afghanistan ihr Leben. Dutzende kamen körperlich verkrüppelt zurück.

Sat.1-Moderator Ulrich Meyer, Oberstleutnant in der Reserve, wies darauf hin, dass die „Kämpfermentalität“ der deutschen Soldaten für Deutschland neu sei. Er halte das aber auch für sehr wichtig. So könne es nicht sein, dass die Bundeswehr nur zur Eindämmung von Hochwasser an der Oder genutzt werde. Die Bundeswehr habe einen Kampfauftrag, auch einen Schutzauftrag mittlerweile – vor allem auf Grund internationaler Bündnisse. „Wenn ein Bundeswehrsoldat als Kämpfer auftreten muss, akzeptieren wir das zu wenig“, kritisierte Meyer.

Auf das Diskussionsfazit von Thoms de Maizière, wonach Deutschland „einen Beitrag leisten müsse, auch anderen Völkern zu helfen“, erwiderte Luc Jochimsen: „Müssen wir das wirklich?“ Sie verwies auf die komplexen internationalen Krisenherde, wie Afghanistan: „Wir führen zehn Jahre Krieg in Afghanistan. Mit welchem Erfolg?“, frage sie. Immerhin gab de Maizière zu: „Wir hatten es aus menschenrechtlichem Engagement gemacht. Nur heute wissen, wir: Das kostet Blutzoll und Geld.“

Die Talkshow schleppte sich stellenweise arg müßig. Zwar hatten sich alle Talkshow-Gäste argumentativ versucht dem schwierigen Thema von Kriegs-Traumata zu nähern, auch der Frage, ob Kriege von Deutschland überhaupt geführt werden dürfen und sollen, doch: Vor allem die Redaktion von Günther Jauch hatte es versäumt, die Talkshow mit entsprechenden Einspielern auch emotional und thematisch stärker aufzuladen. Jauch selber wirkte stellenweise einfach nicht an Menschen und Themen interessiert. Mit einer engagierteren Themenführung hätten die absolut interessanten Gäste wesentlich besser zur Geltung kommen können und der Zuschauer hätte die bedrückende Tiefe des Talkshow-Themas auch stärker erlebt.

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