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Mubarak Urteil entzweit Ägypten: Held, Opfer oder Massenmörder?

VonPeter Patzow

Nov 30, 2014 #featured

In Ägypten gehen die Meinungen über den Freispruch bezüglich Hosni Mubarak weit auseinander. Seit 2011 sitzt Mubarak in Kairo in Haft. Der Vorwurf: Er habe als oberster Staatschef den Tod von über 800 Demonstranten auf Kairos Tahir Platz zu verantworten.

Insgesamt 30 Jahre hatte Mubarak Ägypten regiert und wurde dabei vom Westen als Stabilitäts-Garant hofiert und finanziert. Doch 30 Jahre Mubarak bedeuteten auch: Kaum Demokratie, zu viel Korruption, Willkür der Polizei, des Militärs und der sonstigen Behörden und Ministerien gegen die ägyptische Bevölkerung, Armut von Millionen Menschen, Perspektivlosigkeit für Hunderttausende Jugendliche. Während die einen Mubarak als Held und Opfer der Justiz nun feiern, schimpfen die anderen, Hosni Mubarak habe seinen Freispruch in Kairo ausschließlich alten Seilschaften zu verdanken, die sich Stück für Stück Ägypten wieder einverleibten:

Für die Kritiker an dem Freispruch steht fest: Hosni Mubarak habe als oberster Staatschef am Nil die Verantwortung für den Tod von angeblich bis zu über 800 Demonstranten auf dem mittlerweile weltberühmten Tahir Platz in Kairo zu übernehmen und müsse entsprechend bestraft werden.

Doch werfen Anhänger Mubaraks den Gegner vor, sie machten es sich mit ihren Angriffen auf den über 80-Jährigen Mubarak zu einfach. Denn nicht er habe den Befehl zum Schießen gegeben, sondern Personen in der Armeeführung. Die so Gescholtenen in der Armee sagen wiederum, sie hätten die Massen nicht mehr in den Griff bekommen und hätten aus einer Notstandssituation heraus geschossen, um ein Explodieren der angespannten Lage in Kairo zu verhindern.

Nach wie vor sagt die in Ägypten durchaus verehrte Armee, es habe nie direkt einen Schießbefehl gegeben, vielmehr sei die Situation auf dem Tahir-Platz angeblich eskaliert, als junge Soldaten in Notwehr begonnen hätten zu schießen, um ihr eigenes Leben vor angeblich aggressiven Angriffen durch Demonstranten zu retten.

Wer gab den Schießbefehl auf die Demonstranten auf dem Tahir Platz in Kairo?

Daraufhin, heißt es aus Ägyptens Armee, hätten immer mehr Soldaten geschossen und man habe keine Kontrolle mehr gehabt. Einig sind sich im Nachhinein viele, auch in Ägyptens Militär, dass es den Schießeinsatz mit den Massen an Toten nie hätte geben dürfen. Entsprechend vermissen nach wie vor Millionen Ägypter ein faires und objektives juristisches Verfahren gegen jene Soldaten, welche auf die letztlich wehrlosen Demonstranten geschossen haben.

Bis heute steht fest: Es ist nicht mehr viel übrig vom weltberühmten Arabischen Frühling, der eigentlich Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und vor allem Wohlstand den Massen bringen sollte. Heute ist Ägypten geteilter denn je.

Nun droht der Freispruch von Hosni Mubarak erneut Ägypten an den Abgrund zu treiben: Angeblich hätten am Samstag, sagt der umstrittene – da recht einseitig berichtende arabische Nachrichtensender aus Katar, Al Jazeera – Tausende auf Kairos Tahir Platz („Tahrir Square“) demonstriert. Dabei hätten sie ihre Wut über den Freispruch kundgetan. Die Rede ist von bis zu 2.000 Demonstranten.

Neben Hosni Mubarak waren seine beiden Söhne, Alaa Mubarak sowie Gamal Mubarak in Kairo angeklagt worden. Während es im Falle des ehemaligen Staatschefs Hosni Mubarak um den Vorwurf einer erheblichen Verletzung von Menschenrechten geht und den Vorwurf des Massenmordes, sieht es im Falle der Mubarak-Söhne Alaa und Gamal anders aus.

Hier geht es um den Vorwurf der Korruption. So hätten die beiden angeblich zu ihren Gunsten, aber zu Ägyptens Nachteil, einen dubiosen Gas-Export-Vertrag mit dem Nachbarland Israel abgeschlossen. Dies zumindest wirf Oberstaatsanwalt Mahmoud Kamel al-Rashidi den bei vielen Ägyptern verhassten Mubarak-Söhnen vor.

Hosni Mubarak: Sicher, alles sei in „Gottes Hand“

Hosni Mubarak sagt nach wie vor: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich irgendetwas falsch gemacht habe. Ich wartete damals im Frühjahr 2011 ab, was die Demonstranten noch fordern würden. Ich habe gesagt, der Staat sei zu schützen, aber nicht mehr. Ich habe nichts falsch gemacht.“ Außerdem sagte Mubarak vor Gericht, er sei sich sicher, dass alles „in Gottes Hand“ sei.

Doch auch nach seinem Freispruch muss Mubarak, mittlerweile 86, zurück ins Gefängnis, genauer gesagt in ein unbekanntes Militär-Krankenhaus. Denn im Mai 2014 hatte ein Gericht Hosni Mubarak bezüglich anderer Vorwürfe als schuldig gesprochen. Damals war es um den Vorwurf der Verwicklung in einen erheblichen Korruptionsskandal gegangen.

Wie tief die Trauer und der Schmerz vieler Ägypter über den Tod so vieler Demonstranten nach wie vor sitzt, zeigt sich an einem Zitat, welches die westliche Nachrichtenagentur AFP publizierte. Demnach habe die Mutter eines durch das ägyptische Militär getöteten Demonstranten, gesagt, wonach das jetzige Urteil zu Gunsten Mubaraks „ungerecht“ sei. Es zeige, wonach „das Blut meines Sohnes umsonst geflossen ist“.

239 tote Demonstranten im Jahr 2011 oder bis zu 900?

Weit auseinander gehen nach wie vor die Angaben zur Anzahl der im Frühjahr 2011 getöteten Demonstranten auf dem Tahir Platz in Kairo. Während westliche Medien und ägyptische demokratisch orientierte Protest-Gruppen sagen, es handele sich um 800 bis 900 getötete Menschen, sagte das Gericht in Kairo, man habe bislang eine Liste mit 239 getöteten vorwiegend jungen Menschen vorliegen.

Wie instabil Ägypten nach wie vor ist, zeigt sich daran, dass vor einem Jahr der demokratisch regierende Präsident Mohamed Morsi vom ägyptischen Militär abgesetzt und inhaftiert worden war, nachdem dieser versucht hatte mit seinen als islam-radikale geltenden Muslimbrüdern (Muslim Brotherhood) einen religiös dominierten Staat zu etablieren.

Doch eines ist nach wie vor ebenfalls Fakt: Hosni Mubarak ist für Millionen Ägypter nicht nur Täter sondern zudem Held: Im Militärmuseum von Kairo wird er nach wie vor als Bronzefigur jährlich Hunderttausenden Schülern in Heldenposition gemeinsam mit einigen anderen Militärführern präsentiert:

Viele Ägypter sehen in Mubarak den Held, der Israel im Siebentage-Krieg fast in die Knie gezwungen hätte. Auch wenn Israel damals, 1967, dank der Hilfe durch die USA den Krieg mit Ägypten für sich entscheiden konnte, so kann sich Hosni Mubarak doch auf die Fahnen schreiben, in den vergangenen 40 Jahren dafür gesorgt zu haben, dass es keinen neuen Krieg zwischen Ägypten und Israel gegeben hat.

Außerdem war es Mubarak, der Ägypten zu einem touristischen Land machte und damit für Milliarden Auslands-Devisen sorgte. Doch gelang es ihm nicht, diese Devisen zur Wohlstandsmehrung aller Ägypter einzusetzen.

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