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Warten auf Besserung

VonMaximus

Okt 28, 2011 #featured

REISEBERICHT TEIL EINS: BADEORT EL GOUNA AM ROTEN MEEHR

Ich gebe es offen zu: Ich stehe den in den Medien umschriebenen Revolutionen im Nahen Osten und Nord-Afrika kritisch gegenüber. Es ist mir zu viel Gewalt, Tod, Kriegsverbrechen, Kriegs-Propaganda und einseitige Berichterstattung in den westlichen Medien am Laufen. Alles soll nun plötzlich an den Führern von Ägypten, Tunesien, Libyen, Syrien, Jordanien, Saudi-Arabien, Oman, Jemen, Bahrein und Marokko schlecht sein, was Jahrzehntelang niemanden im Westen wirklich störte.

Entsprechend gespannt war ich auf unsere gut 14-tägige Ägyptenreise im Oktober 2011. Ergebnis bislang: Eindrücke eines touristisch nicht gerade überfüllten Badeorts nördlich von Hurghada namens El Gouna und Gespräche mit Menschen, die dort leben und arbeiten. Letztlich erscheinen die Gründe für die ägyptische Revolution im Frühjahr 2011 nun auch etwas besser fassbar. Weitere Reiseziele sind Luxor und Kairo (Reiseberichte folgen).

Dabei sei gesagt: Sicherlich ist El Gouna, der recht luxuriöse Badeort am Roten Meer von Ägypten, nicht der Idealplatz, um das Leben des typischen Ägypters zu studieren – zumal der Ort von der üblichen Außenwelt mittels Sicherheitskontrollen mehr oder weniger etwas abgeschirmt ist. Dennoch: Wie immer können Kulturen an vielen Orten erkundschaftet werden. El Gouna mauserte sich in den vergangenen 22 Jahren zu einem der besten, da niveauvollsten, Urlaubsorte in Ägypten.

Der Ort gehört einem Konzern

Gegründet hatte El Gouna im Jahr 1991 der Ingenieur Samih Sawiris, der aus einer der reichsten ägyptischen Familien stammt und noch heute mittels seines Unternehmens „Orascom Development“ faktisch den Ort und das Umland besitzt. Seine nicht übertrieben groß erscheinende Villa befindet sich angeblich auf einer künstlichen Insel gegenüber dem Mövenpick-Resort. Allerdings ist das nur einer von mehreren Wohnorten der bekannten ägyptischen Familie. Im Ort heißt es, sie träfe immer freitags im Haus zusammen. Also jenem mit dem Sonntag vergleichbaren islamischen Entspannungstag.

Ausserdem garnieren die Familie andere aussergewoehnliche Geruechte: So sagen einige im Ort, man habe sich in Aegypten frueher gefragt, wie denn die Sawiris-Brueder zu solch Milliarden-Besitztuemern gekommen seien, wie El Gouna oder den Orascom-Konzern, der angeblich 10.000 Mitarbeiter beschaeftige. Heute seien sich viele sicher, dass die Geldgeber und eigentlichen Strippenzieher, eventuell auch die tatsaechlichen Besitzer, in Israel sitzen koennten. Ob das stimmt oder nicht, konnte nicht nachvollzogen werden. Falls daran auch nur ein Funken Wahrheit ist, waere das vor allem deshalb eine heikle Note, da Aegypten und Israel sich traditionell eher spinnefeind sind. Zudem: Offiziell duerfen Auslaender in Aegypten keinen Grund und Boden besitzen und auch nur maximal 48 Prozent an einer Firma halten. Viele behelfen sich deshalb mit Strohmaennern.

El Gouna erstreckt sich über rund 36,8 Mio. Square Meters, wobei 10,9 Mio. bereits durch Baumaßnahmen erschlossen wurden. Der Hafenort ist von schönen Lagunen durchzogen und  Touristen können rund 10 Kilometer Strand nutzen, der jedoch in seiner Qualität eher mittelmäßig ist. Rund 20 Inseln garnieren El Gouna. Das Wasser ist auch noch im Oktober warm, jedoch kühler als um diese Jahreszeit beispielsweise in Thailand.

Garantiert ist es, dass sich Urlauber über zu wenig Sonne faktisch nie Gedanken machen müssen. Hinzu kommt ein steter abkühlender, manchmal aber auch etwas nerviger, da sturmhafter, Wind. Er macht das Rote Meer für Kyte-Surfer zu einem Paradies. Wer klug ist, stellt die Uhr freiwillig um eine Stunde vor – offiziell geht sie im Oktober in Ägypten nämlich bereits gegen 17 Uhr unter. Gegen 18 Uhr ist es zappen duster (das ist in Florida oder Asien um diese Jahreszeit ebenfalls der Fall). Wer die Uhr entsprechend vorstellt, gewinnt eine Stunde am Strand, da es auch morgens schon sehr früh hell ist. Insgesamt rund 2.760 Gästezimmer bewirten ganzjährig die weltweit Reisenden, vorwiegend jedoch Europäer aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Österreich, Holland, Russland oder Großbritannien.

In El Gouna pachtet man

Gut 15 Urlaubs-Resorts gibt es mittlerweile in El Gouna – vom Mövenpick bis hin zum Golfplatz-Resort Steigenberger-Hotel. Neben den sehr ansehnlichen und ausladenden Fünf-Sterne-Hotels, wie dem Mövenpick oder dem Steigenberger, entsteht derzeit erstmals auch ein Sechs-Sterne-Hotel. Nach eigenen Angaben residieren im Schnitt 10.000 Touristen und sonstige Bewohner in El Gouna. Insgesamt rund 80 Restaurants , Bars, Pubs und Diskotheken gibt es. „Colorful arcades house shops offering fashion, hand made items, home accessories, jewelry, houesehould goods, and much more“, heißt es in einer Werbebronchüre.

Für Fans des Golfsports erstreckt sich in die wüstliche Region ein 18-Loch-Platz. In Planung ist derzeit ein zweiter Golfplatz. Wer über einen Privatjet oder einen Helikopter verfügt, der kann zudem einen privaten Flughafen nutzen. Für die anderen bietet sich der Airport in Hurghada an – rund 30 Kilometer südlich entfernt.  Die Fahrt lässt sich mit einem Taxi für rund 20 Euro problemlos und sicher zurücklegen.

Die Straßen und Strände säumen in El Gouna neben den großen Hotel-Anlagen einige hundert private Villen, die ab einem Preis von 410.000 Euro erworben werden können. Derzeit stehen mehrere neu erbaute Villen zum Kauf bereit, die je nach Ausstattung und Lage unter verschiedenen Namen angeboten werden.

Die Namen der Villen sind den Gebieten entlehnt, in denen sie sich befinden. „Sabina-Villen“ gibt es beispielsweise für 410.000 bis 471.000 Euro. Die Villen „Um Jamar“ können je für eine Millionen Euro erworben werden. In den „Fanadir Logoons Villas & Apartments“ lassen Betuchtere für Preise zwischen 813.000 bis 1 Mio. Euro die Seelen baumeln. Keine schlappen Rechnungen für Wohnflächen von 80 bis 280 Quadratmeter in einem Hafen-Ort, der in seiner künstlichen Schönheit ein bisschen an Las Vegas en mineatour erinnert (nur dass es keine Spielkasinos und Hochhäuser gibt) oder an die künstliche Häuserwelt im Disney-Vergnügungspark „Epcot“ in der U.S.-Stadt Orlando. Im entfernteren Sinne ließe sich auch eine Parallele zu den sternförmig angelegten künstlichen Villen-Anlagen in Dubai ziehen.

Mindestens 100 Luxus-Yachten liegen im Hafen

Mindestens 100 im Hafen ankernde Luxus-Yachten – darunter einige für Preise ab zehn Mio. Euro aufwärts – zeugen davon, dass nicht wenige Reiche in El Gouna längst part-time gestrandet sind. Besonders angetan hat es uns eine schwarze ausladende Kobra-Yacht, die in ihrer edlen Dunkelheit an ein Gefährt von Star-Wars-Kriegern erinnert. Natürlich, erklärt uns der Real-Estate-Agent, wären alle genannten Villen-Preise selbstverständlich Verhandlungssache. Gewöhnungsbedürftig sind jedoch die Vertrags-Konditionen in Aegypten, so auch in El Gouna: Die Häuser können zwar gekauft werden, nicht aber der Grund und Boden auf dem sie stehen. Dieser wird lediglich für 99 Jahre gepachtet und auch nur exakt jener, auf dem das Haus steht.

Eigentümer des Gartens bleibt der Orascom-Konzern

Der Garten wird gewissermaßen großzügig zur Nutzung überlassen, darf jedoch – was dem Ort wahrscheinlich durchaus in seiner Ensemble-Architektur gut tut – nicht durch Baumaßnahmen grundlegend verändert werden. Dieser ist nach wie vor Eigentum des Konzerns Orascom. Dennoch sollten sich gerade Europäer nicht zu viel vom Garten versprechen – diese sind häufig sowieso recht klein, bestehen aus einer überschaubaren Grünfläche, Parkplätzen, einer Terrasse sowie meist einem Swimmingpool und einer Yacht-Anlagestelle. Gewöhnungsbedürftig ist auch die große Enge mit der die Häuser nebeneinander erbaut werden – ähnlich einer besseren Reihenhaussiedlung.  Vor allem Briten und Italiener gehören zu den Käufern, aber auch einige Deutsche tummeln sich dort.

Noch eine Besonderheit ist in El Gouna eine Notiz wert: Im oeffentlichen Leben erscheint es, als gaebe es kaum Polizei, stattdessen ueberwiegend Security-Dienste an allen größeren Plätzen und Verkehrs-Knotenpunkten, die wohl im Auftrag des Orascom-Konzerns dezent für Sicherheit sorgen sollen. Dennoch erfaehrt kriegsberichterstattung.com im Ort, dass es alleine in den klassischen Touristen-Gebieten um El Gouna, Hurghada oder Luxor bis zu zwei Millionen Polizei-Mitarbeiter geben solle zum Schutze der Touristen.

Die meisten arbeiteten in Zivil und seien oft zur besseren Tarnung in ganz normalen Jobs zusaetzlich angestellt – wie Kellner, Verkaeufer oder Hotel-Angestellter. Der Grund: Hier koennen sie diskret die wichtigsten Touristen-Bereiche und damit die Geld-Bringer dezent im Auge behalten und beispielsweise vor Anschlaegen  schuetzen. Hierfuer mussen sie regelmaessig Reports an die staatlichen Stellen abliefern, erfuhr kriegsberichterstattung.com. Das koennte erklaeren, warum in zentralen Restaurants manchmal ungewoehnlich viele Kellner – ausschliesslich Maenner – Dienst tun. Alleine in El Gouna seien angeblich, erzaehlen Personen, die nicht genannt werden moechten, kriegsberichterstattung.com, weit ueber 1000 Personen zusaetzlich im Dienste der Polizei. Die Tarnung scheint in Aegypten eine Leichtigkeit, da wohl jeder Unternehmer Personen getarnt beschaeftigen muesse, wenn der Staat – was er wohl haeufig tut – dies verlange.

So ist es im El Gouna unter vielen mittlerweile auch ein offenes Geheimnis, dass einige im Ort verkehrende zivil erscheinende Busse, angeblich eher im Dienste der Polizei unterwegs sind. Dennoch: Die grossen Bemuehungen der Behoerden, die Touristen und Villen- oder Apartment-Besitzer, vor Anschlaegen zu schuetzen, funktionieren: Die Kriminalitätsrate duerfte sich gegen Null bewegen. Hierzu traegt auch ein radikales Vorgehen gegen jegliche Gewalt bei. Gibt es beispielsweise vor Zeugen eine Schlaegerei zwischen zwei Aegyptern, muessen diese mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Jahren rechnen. Gibt es eine Schlaegerei zwischen einem Aegypter und einem Touristen, droht dem Aegypter eine fast schon garantierte Haftstrafe von mindestens einem Jahr.

Liebe zum Detail

Bemerkenswert ist, dass El Gouna architektonisch durchaus mit Liebe zum Detail wie aus einem Guss gebaut worden ist und nach wie vor gebaut wird. Das heißt: Die klassische ägyptische Bauweise ist fast überall zu finden. Das Zentrum des Urlaubsörtchen ist eine große Piazza auf der wir abends häufig in einem der ältesten Restaurants der Stadt Wasserpfeife rauchen und entweder schlechtes ägyptisches Bier trinken (anderes ist nicht zu haben) oder auf den traditionellen ägyptischen sehr guten Hibiskustee ausweichen. Wie überall muss auch in El Gouna in den Geschäften um die Preise gefeilscht werden. Bietet ein Verkäufer beispielsweise eine Tüte getrocknete Hibiskus-Tee-Blüten für acht Euro an, ist ein Preis von zwei bis drei Euro realistisch.

Besuch des Yachthafens Marina ist ein muss

Ein Highlight sollte in El Gouna auf jeden Fall der Besuch des Yachthafens Marina sein, der Duzende edle Restaurants und Cafés, aber auch einige schicke Boutiquen und Souvenirläden, zu bieten hat. Wäre die durchgestylte Eleganz mit mehr Leben gefüllt, man könnte sich auch als Europäer dort sehr wohl fühlen. Die Schönheit der kompakten Hafenanlage, die sich über zwei Hauptbecken erstreckt, ist außergewöhnlich.

Fast überall in El Gouna kann sehr qualitätsvoll und stilvoll entweder europäisch oder ägyptisch gegessen werden. Die Wasserqualität in den Hotels ist gut genug, dass man sich damit auch die Zähne putzen kann – vom Trinken wird jedoch abgeraten. Wen – was in fernen Ländern häufiger passiert – einmal eine Magen-Darm-Beschwerde erwischt, der sollte nicht zögern und in den örtlichen Apotheken, den Pharmacys, entsprechend wirksame Tabletten besorgen. Entgegen alter Gerüchte kann jedoch gerade in den besseren Hotels ruhigen Gewissens auch Frischkost, wie Salate, genossen werden.

Wer genug Sonne am Strand getankt hat und auch keine Lust mehr verspürt, die Stunden in Restaurants zu verbringen, der sollte einmal eine Schnorcheltour zu einem der Riffs im Roten Meer ganztätig mitmachen. „Swimming with the Dolphins“, also das Schwimmen mit den Delphinen, ist im Roten Meer mit etwas Glück tatsächlich möglich. Manchmal tummeln sich bis zu 20 Delphine im offenen Meer bei den Schnorchlern und lassen sich von ganz Schnellen sogar berühren.

Doch für Angsthasen ist das nichts: Eine alte Taucher-weisheit besagt, dass es dort, wo es Delphine gibt, auch Haie gibt. Doch eine andere Regel kontert, Delphine würden Haie nicht mögen und beschützten in der Regel auch die Menschen. Wir waren jedenfalls vom „Swimming with the Dolphins“ begeistert und haben auch keinen Hai im klaren Meerwasser erblickt. Die von El Gouna gut erreichbaren Riffs sind schön, jedoch häufig so hoch, dass man nur am Rande herumschwimmen kann. Zudem gibt es bei weitem nicht mehr so viele Fische, wie beispielsweise in den Taucherparadiesen in Thailand.

Alternativ bietet sich eine Safari mit offenen Motor-Cross-Fahrzeugen (quads)

in die angrenzenden Wüstenberge an. Dort lässt sich vorzüglich romantisch die herrlichen Sonnenuntergänge bewundern und mit Beduinen ins Gespräch kommen und an einer Feuerstelle frisch von einer Beduinen-Frau gebackenes Brot essen. Wem es gefaellt, der sollte mindestens zehn aegptische Pfund als Dankeschoen den Beduinen zurucklassen. Eine Fahrt mit einem Gelaende-Quad durch die raue Wuestenlandschaft hinauf in die Berge von El Douna ist  ist fuer viele ein grosser Kick. Die Gefaehrte sind extrem wendig und der Fahrspass kommt vor allem dann auf, wenn man mal etwas Gas gibt. Die Beduinentuecher im Gesicht sind notwendig, um den im Fahrtwind entstehehnden Staub nicht einatmen zu muessen.

Uebrigens: Vor Jahrmillionen standen die Wuestenberge bei El Gouna unter Wasser, noch heute lassen sich dort deshalb uralte versteinerte Korallenriffs finden. ein Wer nach einer anstrengenden Tour nicht mehr ins Hotel laufen möchte, der kann ohne Probleme auf eines der zahlreich bereit stehenden Tuc-Tuc-Taxis zurückgreifen. Für erschwingliche fünf Ägyptische Pfund, also bescheidene 59 Cent, fahren diese quer durch El Gouna zum Einheitspreis.

Studiengebühren brachten das Fass zum Überlaufen

Auf der Piazza von El Gouna kommen wir schließlich mit Mohammed (Name geändert) ins Gespräch. Er ist maximal Mitte 20, dunkle Haut, dunkle vor Leben sprühende Augen. Er komme aus Luxor erzählt er, studiere nun Ägyptologie und möchte einmal Reiseführer in Luxor werden. Die Revolution könne er gut verstehen, erklärt er. Viele junge Menschen, aber auch deren Elterngeneration, hätten Jahrelang gewartet, dass das Leben in Ägypten einmal besser werde. Aber es wurde es nicht.

Stattdessen wurden vor Jahren selbst für Mittellose (ein Drittel der Ägypter lebt von nur 1,50 Euro pro Tag) plötzlich an den Universitäten Studiengebühren erhoben. Gut 3000 Ägyptische Pfund muss Mohammed für sein vierjähriges Studium nun bezahlen. Das entspricht rund 355 Euro. Das ist viel Geld für einen Ägypter. So verdienen beispielsweise Kellner zwischen 400 und 1000 Ägyptische Pfund (EGP) im Monat, also rund 60 bis 120 Euro – beispielsweise in El Gouna, berichtet uns ein Restaurantbesitzer. In besseren Restaurants koennen Kellner aber auch zwischen 1000 und 1500 Ägyptische Pfund im Monat verdienen und erhalten manchmal sogar noch 200 bis 250 Ägyptische Pfund Erfolgspraemie.

Auch wenn in Ägypten häufig auf den Rechnungen steht, Servicecharge wäre enthalten, so sollten sich Touristen nicht täuschen lassen: Von den in der Regel 12 Prozent Servicecharge sieht der Kellner keinen Cent zu seinem vereinbarten Festgehalt. Die Servicecharge erhält in Nord-Afrika in der Regel der Restaurantbesitzer. Wichtig: Deshalb dem Kellner rund zehn Prozent vom Verzehrwert extra bar auf die Hand geben. Vorher sollte aber geklärt werden, ob er das auch behalten darf oder ob er es, was auch vorkommt, dem Restaurantbesitzer abgeben muss. In der Regel dürfen jedoch Tips, also Trinkgelder, in Ägypten die Kellner behalten.

Erst nach 40 Arbeitstagen gibt es zehn freie Tage

Während deutsche Arbeitnehmer häufig darüber stöhnen, wie hart doch das Arbeitsleben in Deutschland geworden sei – die Rede ist vom massenhaften Burning-Out-Syndrom – sollten sich die Pädagogen der Republik auch einmal international umschauen. In Ägypten erhalten beispielsweise gesetzlich geregelt viele einfachen Arbeitnehmer erst nach 40 vollen Arbeitstagen zehn freie Tage oder nach 30 vollen Arbeitstagen sieben freie Tage. Nur die besseren Jobs sind dem europaeischen Modell nachgeahmt – also fuenf Arbeitstage und zwei freie Tage (Freitag und Samstag).

Dabei ist die Arbeitsdauer pro Tag nicht auf acht Stunden beschränkt. Kellner in El Gouna arbeiten meisten von morgens sieben oder neun Uhr bis abends um 22.30 bis 23.00 Uhr. Dazwischen gibt es, wenn es gut läuft, vier Stunden frei. Heißt: Die Ägypter, wenn sie denn einen Job haben, arbeiten im Schnitt mehr als doppelt so viel wie ein deutscher Arbeitnehmer im Monat – allerdings bei einem Bruchteil des Lohns. Dennoch schenken sie ihren Gästen immer ein nettes Lächeln und große Aufmerksamkeit.

Immerhin: Für viele Kellner heißt es Kost und Logier ist frei und wird vom Hotel- oder Restaurantbesitzer übernommen. So werden sie in der Regel komplett vom Restaurant während ihrer Arbeitszeit mit Essen und Trinken versorgt, zudem steht ein Bett mit Kollegen in einem kargen Zimmer zur Verfügung

Auch wenn das alles für westliche Touristen beispielsweise aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz, eher als sehr hartes Leben anmutet: Jene Ägypter, die einen regelmäßigen täglichen Job haben, müssen sich noch glücklich schätzen. Mohammed erzählt, dass sein Vater in Luxor lediglich Tagelöhner auf dem Feld war. Pro Arbeitstag – also rund 15 Stunden – erhielt er im Schnitt 120 Ägyptische Pfund – etwas 14 Euro oder einen Euro pro Stunde. Trotzdem habe er davon seine Familie ernährt – die Ehefrau und sechs Kinder. Die Hoffnung, dass es seinen Kindern einmal besser ergehen würde, war sein täglicher Klimmzug der ihn zum Arbeiten bei Hungerlöhnen brachte.

Als die Hoffnung starb, kam die Revolution

Erst als auch diese Hoffnung in vielen Familien starb, kam die Revolution, erzählt Mohammed. Die in allen Lebenslagen sichtbare Institutionalisierung von Ungerechtigkeiten hätte der nackten Wut und dem Willen zum absoluten politischen Wechsel schließlich den Weg geschlagen. „Wie kann es sein, dass rund 3000 Ägypter über 25 Prozent des Volkseinkommens verfügen, während die anderen 82 Mio. nichts haben?“, fragt er. „Wie kann es sein, dass mein Vater, der jahrzehntelang klaglos für nichts geschuftet hat, mit 62 ins öffentliche Krankenhaus kommt, nachdem er Blut gespuckt hat, und er zehn Tage später tot ist – da die studentischen Assistenzärzte ihm nur Schmerztabletten gegeben haben?“. Das war im Jahr 2007.

Hätte er Geld gehabt, wäre er möglicherweise noch am Leben. Doch wer arm in Ägypten sei – und das seien mehr als 80 Prozent der Bevölkerung, erklärt Mohammed – dem schlüge fast nirgends Menschenwürde entgegen, den lasse man verrecken. Auf unseren dezenten Hinweis, dass das leider weltweit in vielen Staaten der Fall sei, selbst in den USA, blickt er fast mit Tränen in den Augen in den dunklen Nachthimmel, um dann aufgebracht zu sagen: „Ihr wisst doch nichts von Ägypten“. Letztlich sei der gestürzte Präsident Mubarak an allem Schuld. Auch hier tut er sich mit dem Hinweis schwer, dass ein System, das solche Ungleichheiten wie in Ägypten produziere, nicht nur aus einem Mann besteht, sondern aus vielen Tausend die es tragen und verantworten.

Letztlich, erklärt Mohammed schließlich, hätten sie sich wohl gegenseitig gestützt: Die Reichen und Einflussreichen, in dem sie sich beispielsweise nur beim Universitäts-Leiter beschweren mussten und schon seien ihren Sprösslingen die Studiengebühren erlassen worden. Der Beste habe im Job oder auf der Universität nie e Chance, wenn er nicht gleichzeitig aus einer einflussreichen Familie stamme.

Wenn ein System das Mittelmaß an die Spitze lässt

So ein System produziert im besten Falle eine Elite der Mittelmäßigen, niemals aber das der Besten. In Ägypten stützte das Establishment das Establishment, eine Hand wäscht die andere. Auf der Strecke bleiben Millionen, bleibt das, was man als Gerechtigkeit bezeichnet. Insofern ist Mubarak, der sicherlich auch viel Gutes für Ägypten getan hat, Opfer seiner eigenen Unfähigkeit sich aus dem korrupten System des „eine Hand wäscht die andere“, zu befreien. Hinzukommt, erklärt Mohammed: „Kaum einer mochte Mubarak. Jedes Mal wenn Wahlen waren, gingen alle hin, wählten, aber oft nicht Mubarak – trotzdem hieß der nächste Präsident wieder Mubarak.“ Wie das sein könne, fragt er.

Mohammed ist auf dem besten Weg einmal ein besseres Leben zu haben, als es sein Vater hatte. Fleißig spricht er täglich 15 Stunden Touristen in El Gouna an, versucht sie von den tatsächlich wunderbaren Schnorchel-Trips ins Rote Meer zu überzeugen, die seine Company für 25 Euro pro Person anbietet. Noch vor einigen Jahren kosteten solche Trips 100 Euro pro Person. Mohammed muss, wie die Kellner, erst 40 Tage arbeiten, bevor er zehn im Gegenzug frei erhält. Sein Gehalt, sagt er, schwanke mit seinem Erfolg. Es läge zwischen 2000 und 4000 Ägyptischen Pfund. Umgerechnet entspricht das einem Monatslohn zwischen 236 und 470 Euro.

Damit verdient er deutlich mehr als ägyptische Kellner. Seit sein Vater tot ist, schickt er Monat für Monat Geld an seine Familie. Die Höhe hänge von seinem Erfolg ab – aber 1000 Ägyptische Pfund seien es schon öfters, sagt er lächelnd. Als wir gehen, sage ich noch: „Dein Vater wäre stolz auf dich Mohammed und Deine Mutter ist bestimmt sehr stolz auf Dich. Du wirst einmal ein besseres Leben haben als sie“.

Er lacht und verabschiedet sich – die nächsten Touristen müssen angesprochen werden. Diese pure Freude mit der er sich ins nächste Gespräch stürzt – es ist die Freude am Leben, gespeist aus der Überzeugung auf ein glücklicheres Leben, als es sein Vater haben konnte. Dabei ist ihm bewusst: Der Wandel in Ägypten – er hat erst zaghaft begonnen. Das Meisterwerk – der Aufbau einer friedlichen zivilen Bürgergesellschaft – er steht noch bevor und wird Jahrzehnte dauern. Dabei ist bis heute der Ausgang nicht sicher. Nur eines scheint sicher: El Gouna ist und bleibt für Touristen ein attraktives und sicheres Reiseziel.

 

 

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Von Maximus

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