• Mi. Mrz 27th, 2024

Grüne diskutieren Abhörskandal Sachsen +++ „Generalstaatsanwaltschaft Dresden beschädigt Vertrauensbasis“

Diskutierten vor rund 200 Zuhörern den Abhörskandal von Sachsen: Dr. Andreas Hüttl, Christian Helbich, Valentin Lippmann, Robert Dobschütz (v.r.n.l.).

Diskutierten vor rund 200 Zuhörern den Abhörskandal von Sachsen: Dr. Andreas Hüttl, Christian Helbich, Valentin Lippmann, Robert Dobschütz (v.r.n.l.).

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden ließ seit Jahren die linke Leipziger Fußballszene bespitzeln. Der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung stand im Raum. Neben den 14 Hauptverdächtigen gerieten jedoch auch 240 Unbeteiligte ins Visier der sächsischen Behörden, darunter Ärzte, Journalisten und Sozialarbeiter. Doch der Verdacht erhärtete sich nicht. Das Verfahren wurde nach drei Jahren im Herbst 2016 eingestellt.

Etwa 25.000 Seiten Gesprächsprotokolle und einige „Regalmeter“ Ermittlungsakten später fragte Valentin Lippmann, Datenschutzbeauftragter der Grünen im Sächsischen Landtag, in einer Diskussionsrunde nach der Verhältnis- und Rechtsmäßigkeit solcher Überwachungsmethoden. Mit ihm sprachen im Pögel Haus Leipzig unter anderem Rechtsanwälte, Betroffene und Journalisten zu dem Thema: „Wenn der Staatsschutz heimlich mitspielt – der Abhörskandal in der Leipziger Fußballszene.“

Die Teilnehmer:

Dr. Andreas Hüttl, Strafverteidiger und Fan-Anwalt aus Hannover, zeigte sich vom Ausmaß überrascht und appellierte an die Behörden bedächtiger zu handeln.
Christian Helbich, Sozialarbeiter bei BAG Fanprojekte und Betroffener, kritisierte die sächsischen Behörden und forderte das offene, konstruktive Gespräch mit ihnen statt massenhafter Datenschnüffelei.

Robert Dobschütz, Journalist bei der Leipziger Internetzeitung, teilte ordentlich gegenüber den Behörden aus. Er sprach von einer „brutalen und schreienden Dummheit von einigen ermittelnden Beamten“.

Die Gesprächsrunde eröffnete Valentin Lippmann mit dem Fan-Anwalt Dr. Andreas Hüttl. Mit Blick auf die Strafverfolgungsbehörden fragte Lippmann: „Wie schnell kommt man zum Schluss – auch hinsichtlich des unterstellten Straftatvorwurfs, der so ziemlich alles zulässt, was die strafprozessualen Mittel angeht –, dass man da gern mal was herbeikonstruieren könnte?“

Dazu Hüttl:

„Super schnell kommt man zu diesem Schluss. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Verurteilung kommt wegen Mitgliedschaft in einer Ultra-Vereinigung oder in einem Fanclub, ist relativ gering. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass die Möglichkeit genutzt wird, um Fanstrukturermittlungen einzuleiten, ist sehr hoch.“

Hierunter versteht man die sukzessive Ausweitung des überwachten Personenkreises bis hin zu Vertrauenspersonen wie Ärzten, Rechtsanwälten und Journalisten. Dadurch erhoffen sich die Überwachungsbehörden allgemeinhin, einen besseren Einblick in die Beziehungen, Absprachen und Hierarchien von Fanclubs und anderen Gruppierungen zu erhalten.

Hüttl appellierte an die Behörden, mit mehr Bedacht vorzugehen und keine Schnellschüsse zu ziehen:

„Die Polizeibehörden müssten sorgfältiger sein, so einen Verdacht zu formulieren. Die Staatsanwaltschaften müssten sorgfältiger sein, nicht alles weiterzutragen und entsprechende Anträge auf Überwachung zu stellen. Und die Amtsrichter, die das unter dem Richtervorbehalt zu entscheiden haben, müssten ebenfalls sorgfältiger sein.“

Als Betroffener meldete sich in der Runde Christian Helbich zu Wort. Er ist Sozialarbeiter bei BAG Fan-Projekte und war direkt im Fokus der ermittelnden Behörden. Auf die Frage hin, wie er sich nach Bekanntwerden der Überwachung fühle, antwortete er:

„Mir ging es anfangs sehr schlecht. Über Jahre hinweg baut sich eine Vertrauensbasis zu den Fans und Jugendlichen auf, die die Behörden missbrauchen wollten.“

Letztendlich sei bei den Fans und auch in der Öffentlichkeit jede Menge Vertrauen verloren gegangen, worunter seine Arbeit besonders zu leiden hätte. „Es bleibt immer etwas hängen“, erklärte Helbich. Seine Rüge:

  • Statt der uferlosen Massenüberwachung hätten die sächsische Behörden direkt mit den Fan-Projekten in Kontakt treten sollen. Das Tischtuch sei dennoch nicht zerschnitten worden. Helbich würde weiterhin das konstruktive Gespräch mit der Polizei und dem Innenministerium suchen, um Antworten darauf zu finden, warum gerade Fan-Projekte im Visier der Behörden stünden. Bislang ohne Erfolg.

Robert Dobschütz vertrat als Mitarbeiter der Leipziger Internetzeitung die journalistische Zunft in der Podiumsdiskussion. Auch seine Redaktion wurde bespitzelt. Nachweislich hörten sächsische Behörden bei mindestens 28 Telefonaten mit.

Er fühle sich in seiner journalistischen Arbeit durch die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft behindert. Das Vertrauen sei zerstört. Bei jedem Telefongespräch frage man sich, ob man nicht doch noch abgehört werde, so der Journalist. Gerade im redaktionellen Alltag sei aber das vertrauensvolle Gespräch zu Informanten notwendig.

Dann holte Dobschütz kräftig Luft und sagte: „Es ist eine brutale und schreiende Dummheit von einigen ermittelnden Beamten, von einigen Staatsanwälten und von einigen Richtern, die die Welt so sehen, wie sie die Welt sehen möchten.“ Zudem sei die Staatsanwaltschaft Dresden bekannt dafür, etwas „schnell zu schießen“.

Die Diskussionsrunde schloss mit der Erkenntnis ab, dass man die Öffentlichkeit für die Themen Überwachung und Datenschutz noch mehr sensibilisieren müsste. Auch Demonstrationen gegen noch mehr Überwachung wurden gefordert. Weiterhin wünschte man sich von Journalisten, dass diese polizeiliche Pressemeldung nicht einfach ungeprüft übernehmen würden. Ein gesundes Misstrauen in den Staat bildete Lippmann zufolge „das Lebenselixier eines freiheitlich demokratischen Landes“.

Zum Ende wurde auch die Bedeutung der Fan-Projekte noch einmal hervorgehoben, die einen wichtigen Bestandteil der Jungendsozialarbeit darstellen und die sich nicht von der „Anti-Stimmung“ beeinflussen lassen sollten. Trotz des heiklen Themas zeigte sich das Publikum etwas schwachbrüstig. Rückfragen gab es nämlich kaum. Von den etwa 200 Gästen meldeten sich nur vier Personen aus dem Auditorium. Datenschutzrechtler haben also anscheinend noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

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Von Redaktion

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