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58 Jahre brutaler Krieger: Israels Bulldozer Ariel Scharon gestorben

VonPeter Patzow

Jan 11, 2014 #featured

Nach quälenden Jahren der Bettlägerigkeit im Koma wurde der ehemalige israelische Premierminister Ariel Scharon (auch: Ariel Sharon) nun erlöst. Wie israelische Medien berichten, verstarb der 85-Jährige in einem Krankenhaus bei Tel Aviv.

Bereits 7 lange Jahre, seit 2006, musste Ariel Scharon („Arik“) in einem Krankenhaus, zunächst in Jerusalem, später dann in Tel Hashomer, einem Vorort von Tel Aviv, behandelt werden und hat seitdem die Pflegeeinrichtungen nie wieder verlassen können. Zu Scharons letzten Amtshandlungen gehörte, dass er im Jahr 2005 jüdische Siedler aus dem von Palästinensern bewohnten Gaza-Streifen beorderte und damit eine 38-Jährige israelische willkürliche und auch brutale Besatzung in dem Gebiet zumindest formal änderte. Doch das kann nicht über Scharons jahrzehntelanges brutales und unversöhnliches Verhalten gegenüber den Arabern, den Palästinensern, hinwegtäuschen.

So war es Scharon, der wenige Jahre zuvor den palästinensischen Regierungschef Yasser Arafat (beziehungsweise „Jassir Arafat“) aus Israel vertreiben wollte und dafür sogar seinen Regierungssitz in Ramallah zerstören ließ. Unvergessen ist auch Scharons provokativer Gang auf den Tempelberg im von Israel illegal besetzten Ost-Jerusalem. Auf dem Berg steht die al-Aqsa mosque. Scharons Gang auf den Tempelberg – mit hunderten Israelis – zog eine Welle der Gewalt in islamischen Ländern nach sich.

Ariel Scharon war ein israelischer Patriot, der geprägt durch den Holocaust an Millionen Juden in deutschen Konzentrationslagern im Zweiten Weltkrieg, auch geprägt durch Kriege wie den Yom Kippur Krieg im Oktober 1973, die Freiheit Israels über alles setzte und dafür selbst vor verbrecherischen Mitteln nie zurückschreckte.

Für die Araber und deren Anliegen auf einen freien Staat Palästina konnte sich Ariel Scharon auch im fortgeschrittenen Alter nicht einmal ansatzweise erwärmen. Scharon war vor seiner Zeit als israelischer Spitzenpolitiker viele Jahre ein militärischer Führer. So kämpfte er beispielsweise als Major-General im berühmten Yom Kippur Krieg für Israel und gegen Ägypten und Syrien.

Doch das war nicht der einzige Krieg, den er als israelischer Soldat für Israel focht. Faktisch war er 58 Jahre lang ab 1948, bis zu seinem katastrophalen Sturz, der ihn 2006 ins Krankenhaus brachte, an jedem israelischen Krieg beteiligt. 1982 zog er beispielsweise als israelischer Verteidigungsminister die politischen Strippen.

Damals ließ Ariel Scharon den Libanon bombardieren und völkerrechtlich illegal besetzen. Mit den Luft- und Raketenangriffe gegen den Libanon wollte Scharon einerseits die PLO zerstören – die palästinensische Freiheitsorganisation (Palestinian Liberation Organization) – aber auch Syrien schwächen. Syrien hielt zu dieser Zeit Teile des Libanon besetzt. Ebenfalls federführend war Scharon in den 1980er Jahren bei israelischen Luftangriffe auf Atomanlagen im Irak.

Allerdings musste Ariel Scharon in den 1980er Jahren als israelischer Verteidigungsminister zurücktreten, als bekannt wurde, dass er in ein Mordmassaker gegen hunderte Palästinenser in den Flüchtlingscamps (refugee camps) Sabra und Shatilla verwickelt war. Sein Ziel war damals – und man kann es durchaus als großes Kriegsverbrechen auch heute noch bezeichnen – hunderte angebliche PLO-Sympathisanten zu ermorden.

Doch die PLO-Sympathisanten waren letztlich arabisch-palästinensische Zivilisten, die in den Flüchtlingslagern Zuflucht vor dem Krieg und Armut gesucht hatten. So war es Ariel Scharon, der maßgeblich die Verantwortung dafür trug, dass hunderte Palästinenser in den beiden bei Beirut liegenden arabisch-palästinensischen Flüchtlingslagern umkamen.

Israel bediente sich dabei einer militärisch-kriegerischen Allianz mit einer libanesisch-christlichen Fraktion. Nach Bekanntwerden dieses großen Kriegsverbrechens nahm der Druck auf Israel weltweit solche Ausmaße an, dass der israelische Premierminister Menachem Begin seinen Verteidigungs- und Kriegsminister Scharon zum Rücktritt zwang.

Üblicherweise wäre ein Politiker, an dessen Händen so viel Blut klebte wie an Scharons, spätestens dann ein für alle Mal in einem Parlament eines demokratischen Landes untragbar gewesen. Nicht aber in Israel. Die Legende von Scharon als Freiheitskämpfer für Israel ermöglichte es ihm noch über Jahre, ja Jahrzehnte, an oberster Position in Israel die Fäden zu ziehen. Vor 16 Jahren, 1998, hatte ihn beispielsweise der auch heute wieder regierende israelische Premierminister Benjamin Netanyahu Scharon zu seinem Außenminister gemacht.

Der ehemalige amerikanische Botschafter in Israel, Edward Walker, umschreibt Scharon mit den folgenden Worten: „Scharon vereinte Brillanz mit kolossalen Verfehlungen“.

Doch geht Walker noch weiter. Er sagte, wonach Ariel Scharon während seiner aktiven militärischen und politischen Laufbahn eine primär destruktive Rolle im israelisch-palästinensischen Friedensprozess gespielt habe: „Er repräsentiert Gewalt, Militarismus, ungewöhnliche Schritte und er untergrab den politischen Weg der Aussöhnung – bei einer langen Geschichte des Schmerzes, welchen man mit ihn in Verbindung bringt.“

Walker war auch Präsident des Middle East Instituts, einem Think Tank in Washington D.C. Entsprechend sehen heute noch Millionen Palästinenser Ariel Scharon nicht als Helden an, sondern als einen brutalen, rücksichtslosen israelischen Führer, dessen Karriere auch von tausenden durch Israel getötete Palästinenser gepflastert ist.

Besonders übel nehmen die Palästinenser, dass sie Ariel Scharon unmittelbar für den Tod ihres PLO-Führers und Friedensnobelpreisträgers Yasser Arafat verantwortlich machen. So hatte Scharon noch 2003 das Regierungsgebäude von Arafat in einer völkerrechtlich illegalen Aktion durch Bombenangriffe aus der Luft dem Erdboden gleich machen lassen.

Außerdem war es Ariel Scharon der – entgegen dem Willen der UNO – Yasser Arafat nach Afrika ausweisen hatte lassen wollen. Auch schieben Beobachter bis heute Ariel Scharon eine mögliche zentrale Rolle in den dubiosen Todesumständen Yasser Arafats zu.

Bis heute kursieren Mordgerüchte. Der Verdacht: Arafat könnte mit dem Atomgift Plutonium umgebracht worden sein. Allerdings haben Wissenschaftler aus Russland und Frankreich diese Mord-These als nicht haltbar bezeichnet, Schweizer Wissenschaftler sagten aber, dass sie einen Plutonium-Mord an Arafat nicht ausschließen könnten, da man in der Tat ungewöhnlich hohe Plutonium-Spuren auf Arafats Zahnbürste und in seiner Kleidung gefunden habe. Man könne nur nicht beweisen, sagten auch die Schweizer Wissenschaftler, dass das tatsächlich ursächlich für den Tod Arafats verantwortlich war – wie auch.

Die Leiche Arafats hatte schon fast zehn Jahre der Verwesung nach sich, bevor nähere Untersuchungen zu seinen Todesumständen im Rahmen von Obduktionen gemacht wurden. In islamischen Ländern gelten Obduktionen als ein eher nicht akzeptables und entweihendes Mittel an Verstorbenen. Fakt ist jedenfalls: Arafat war in Paris in einem Krankenhaus urplötzlich verstorben. Das sorgte bereits 2004 weltweit für äußerstes Erstaunen und großes Misstrauen gegen Israel und seinen seit Jahrzehnten in Mordanschläge verwickelten Geheimdienst Mossad.

Beim Blick auf Scharons jahrzehntelanges Agieren in Israels Militär wie Politik bezeichnen nicht nur Palästinenser, sondern auch israelische Bürger oder israelische Medien, Ariel Scharon bis heute als Bulldozer.

Nach Scharons Erkrankung war ihm der gemäßigtere Premier Ehud Olmert gefolgt, damals Führer der Kadima Partei. Diese Partei wiederum war von Scharon persönlich gegründet worden, nachdem er die konservative Likud Partei verlassen hatte.

Viele hatten damals gedacht, Scharon würde auf seine alten Tage hin doch noch einen gemäßigten und konstruktiven Weg gehen, um für Frieden zwischen Israel und Palästina zu sorgen. Doch zeigt es sich bis heute: Israel verweigert diesen Weg – aus Angst, selbst in die Defensive zu geraten.

Dabei ist die Brutalität mit der Israel die Millionen arabischen Palästinenser seit Jahrzehnten unterdrückt, drangsaliert und als Willkürsmacht beherrscht, schon seit vielen Jahren im Westen nicht mehr akzeptiert. Israel steht zunehmend singulär politisch auf der Weltbühne. Dabei stellt faktisch niemand im Westen das Existenzrecht Israels in Frage – betonen aber eben auch das Existenzrecht der arabischen Palästinenser, was die israelische Regierung ihrerseits nicht tut.

Ariel Scharon war im Jahr 1928 in der Nähe von Tel Aviv als Sohn russischer Eltern geboren worden. Sehr früh trat Scharon der jüdischen militärischen gewaltsamen Untergrundorganisation Haganah bei – und zwar als 14-Jähriger im Jahr 1942. Damals kämpfte er für die Unabhängigkeit Israels von den ebenfalls gewalttätigen britischen Besatzern.

Auch im arabisch-israelischen Krieg im Jahr 1948 bis 1949 war Ariel Scharon – damals gerade einmal Anfang 20 – an vorderster Front dabei. Als Brigadegeneral kommandierte Scharon außerdem im Sechstagekrieg 1967 Teile der israelischen Armee. Es war Scharon, der damals völkerrechtlich illegal Ost-Jerusalem militärisch besetzen ließ, die West-Bank, die Golanhöhen, die Sinai-Halbinsel und den Gaza.

Bis heute hält Israel weite Gebiete von damals militärisch besetzt. Trotz der Aufforderung der Vereinten Nationen, der U.N., sich zurückzuziehen, verweigert Israel bis heute einen Komplett-Rückzug. Auch im Krieg um den Suez Kanal war Ariel Scharon neben den USA ganz vorne für Israel dabei.

Eine der schlimmsten Gewaltaktionen, welche man mit dem Namen Ariel Scharon in Verbindung bringt, geht aber in das Jahr 1953 zurück. Damals ließ er als militärischer Befehlshaber Israels mit der Unit 101 40 arabisch-palästinensische Häuser in der Westbank zerstören und tötete 69 Araber – die Hälfte davon waren Frauen und Kinder. Scharon verteidigte sein Verhalten damit, dass er gedacht habe, die Häuser wären leer gewesen.

Nun hat Scharon selbst das Haus Israel verlassen. Ein Haus, das er zentral mit aufgebaut hat. Die Chance, seinen eigenen Schmerz über den Holocaust an den Juden und die brutale britische Besatzung auf palästinensisch-israelischem Boden zwar nicht zu vergessen, aber doch wenigstens in konstruktive Energie zu verwandeln, hat Scharon leider Zeit seines Lebens nicht ergriffen.

Scharon und Arafat: Beide kamen aus dem Untergrund. Beide hätten, wie niemand sonst in Israel und Palästina, die historische Chance gehabt, aus Feinden Freunde zu schmieden. Nach Arafat im Jahr 2004 geht fast exakt zehn Jahre später, 2014, nun auch Scharon. Weit und breit ist niemand in Israel und Palästina, der den israelisch-palästinensischen Friedensprozess endlich zu einem guten Ende bringen könnte.

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