Bundespräsident Joachim Gauck fordert mehr Respekt für Soldaten, aber auch Diskussion zu Auslandseinsätzen
In einer umfangreichen politischen Rede setzte sich nun der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck auch mit der Bundeswehr auseinander. Er forderte, dass Deutschland viel stärker als bislang die Positionierung der Bundeswehr diskutieren müsse. Seine wohl zentralste Aussage: ‚Wir müssen darüber diskutieren, ob sie die gewünschten Ziele erreichen oder schlimmstenfalls neue Gewalt erschaffen.‘ Diese Worte sagte er in der altehrwürdigen Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg-Blankenese.
Wir halten Gaucks Rede für einen wichtigen Diskussionsbeitrag rund um die Frage, ob die Bundeswehr künftig – wie es ihr Verfassungsauftrag auf Grund der beiden Weltkriege ist – eine Verteidigungsarmee oder eine Angriffsarmee ist.
Die Rede des Bundespräsidenten im etwas gekürzten Wortlaut:
„Ich habe mich auf meinen Antrittsbesuch bei der Bundeswehr ganz besonders gefreut. Sie können sich wahrscheinlich nur sehr bedingt vorstellen, warum das so ist und warum ich gerne zu Ihnen gekommen bin, an die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.
Soldaten und Militär – das war mir in den ersten fünf Jahrzehnten meines Lebens allgegenwärtig. Es sind keine guten Gefühle, die bei mir hochkommen, wenn ich mich erinnere an die Aufmärsche, an die Militarisierung der Schulen, an die Erziehung zum Hass, an die Ablehnung eines Zivildienstes durch Partei und Staat, an die militärische ‚Absicherung‘ einer unmenschlichen Grenze – nicht gegen einen Aggressor, sondern gegen das eigene Volk.
Ich habe in einem Land gelebt, in dem die Armee einer Partei verpflichtet war. Eine Armee, die ‚Volksarmee‘ hieß und es nicht war. Eine Partei, die von sich behauptet hat, den Volkswillen zu vertreten und die sich nicht gescheut hat, Soldaten auch gegen die eigenen Bürger einzusetzen. Ich habe das Militärische also kennengelernt als eine – nicht nur physische – Begrenzung der Freiheit.
Und nun stehe ich vor Ihnen in Hamburg als Bundespräsident des vereinten Deutschland. Ich stehe vor der Bundeswehr, zu der ich seit 22 Jahren auch ‚meine Armee‘ sagen kann. Und bin froh, weil ich zu dieser Armee und zu den Menschen, die hier dienen, aus vollem Herzen sagen kann: Diese Bundeswehr ist keine Begrenzung der Freiheit, sie ist eine Stütze unserer Freiheit.
Jetzt ahnen Sie vielleicht, wie wertvoll mir dieser Besuch und die Begegnungen heute sind. Welch ein Glück, dass es gelungen ist, nach all den Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur und nach den Gräueln des Krieges, in diesem Land eine solche Armee zu schaffen: eine Armee des Volkes, im besten, eigentlichen Sinne, kein Staat im Staate, keine Parteienarmee, sondern eine ‚Parlamentsarmee‘, an demokratische Werte gebunden, an Grundgesetz und Soldatengesetz; eine Armee unter Befehlsgewalt eines Zivilisten, rekrutiert aus eigenverantwortlichen Bürgern und heute auch Bürgerinnen, die zu kritischen Geistern gebildet werden in Institutionen wie dieser; eine Armee, deren Einsätze unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch unsere Volksvertreter stehen und – wenn auch nicht genügend – öffentlich diskutiert werden.
All das kann einer wie ich, der zwei Drittel seines bisherigen Lebens in Diktaturen verbracht hat, nicht als selbstverständlich empfinden. In vielen Ländern der Welt ist es auch heute keine Selbstverständlichkeit. Und so ist für mich die Bundeswehr Teil des ‚Demokratiewunders‘, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen vollzogen hat – und vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten dann auch im Osten unseres Landes.
Ich denke daran, wie in den Jahren nach 1990 die Bundeswehr eine ‚Armee der Einheit‘ wurde – und aus Soldaten, die einst vielleicht aufeinander hätten schießen müssen, Kameraden. Daran hat übrigens auch die engagierte Bildungsarbeit der Bundeswehr einen großen Anteil, die ich mit meinem Antrittsbesuch an diesem Ort, an der Führungsakademie, besonders würdigen möchte.
Liebe Soldatinnen und Soldaten, Sie schützen und verteidigen, was uns am wichtigsten ist, auch über die Grenzen unseres Landes hinaus: Freiheit und Sicherheit, Menschenwürde und das Recht jedes Einzelnen auf Unversehrtheit. Sie handeln im Auftrag einer freiheitlichen Demokratie. Sie sind als ‚Staatsbürger in Uniform’Teil dieser Gesellschaft, Sie stehen mit Ihrem Dienst für diese Gesellschaft ein.
Diese Gesellschaft hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten stark gewandelt, und damit auch die Bundeswehr. Ich nenne nur ein paar Stichworte: zunehmende finanzielle Zwänge, Reformen, technische Neuerungen, Schließung von Standorten; die vollständige Öffnung der Bundeswehr für Frauen und, erst kürzlich, der Wegfall der allgemeinen Wehrpflicht, gemeinsame Auslandseinsätze mit verbündeten Nationen und neue Arten von Bedrohungen und Kriegen….
Die Welt um uns herum verändert sich rasant. ‚Wir übernehmen jetzt Verantwortung für Dinge, über die wir früher nicht einmal nachgedacht hätten‘, so hat es kürzlich General Carl-Hubertus von Butler ausgedrückt, bis vor kurzem Chef des Heeresführungskommandos. Vor wenigen Tagen ging durch die Presse, wie sich die Bundeswehr für den sogenannten ‚Cyberkrieg‘ rüstet. Und während wir hier sitzen, stehen Tausende von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf drei Kontinenten in Einsätzen ihren Mann und ihre Frau.
Die Bundeswehr auf dem Balkan, am Hindukusch und vor dem Horn von Afrika, im Einsatz gegen Terror und Piraten – wer hätte so etwas vor zwanzig Jahren für möglich gehalten? Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, werden heute ausgebildet mit der klaren Perspektive, in solche Einsätze geschickt zu werden – mit allen Gefahren für Leib, Seele und Leben. Sie haben einen Anspruch darauf, dass wir uns bewusst machen, was Ihnen abverlangt wird und welche Aufgaben wir von Ihnen in Zukunft erwarten. All das darf nicht allein in Führungsstäben und auch nicht allein im Parlament debattiert werden. Es muss da debattiert werden, wo unsere Streitkräfte ihren Ort haben: in der Mitte unserer Gesellschaft.
Sie werden jetzt – zu Recht – sagen: bitte, an uns soll’s nicht liegen, wir hätten ja gerne mehr als bloß das heute sprichwörtliche ‚freundliche Desinteresse‘, das schon der frühere Bundespräsident Horst Köhler bedauernd feststellte. Die Bundeswehr steht zwar mehr denn je unter Beobachtung der Medien. Und doch ist sie im öffentlichen Bewusstsein nicht sehr präsent.
Es liegt wohl zum einen an der unvermeidlichen räumlichen Distanz: Viele Standorte der Bundeswehr mussten geschlossen werden, Sie sind als Soldatinnen und Soldaten im Alltag unserer Städte und Gemeinden weniger präsent. Und wer kann sich schon vorstellen, als Zivilist hier im friedlichen Deutschland, wie es sich lebt in Masar-i-Scharif oder in Prizren, welche Entbehrungen diejenigen in Kauf nehmen müssen, die außerhalb der Feldlager ihren Auftrag erfüllen, welchen Belastungen sie tagtäglich ausgesetzt sind?
Zum anderen ist es aber schon auch ein Nicht-wissen-Wollen. Das ist menschlich: Wir wollen nicht behelligt werden mit dem Gedanken, dass es langfristig auch uns betreffen kann, wenn anderswo Staaten zerfallen oder Terror sich ausbreitet, wenn Menschenrechte systematisch missachtet werden. Wir denken nicht gern daran, dass es heute in unserer Mitte wieder Kriegsversehrte gibt. Menschen, die ihren Einsatz für Deutschland mit ihrer körperlichen oder seelischen Gesundheit bezahlt haben. Und dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für die Gesellschaft schwer zu ertragen.
Die Abscheu gegen Gewalt ist verständlich. Gewalt, auch militärische Gewalt, wird immer auch ein Übel bleiben. Aber sie kann – solange wir in der Welt leben, in der wir leben – notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden. Allerdings müssen wir militärische Einsätze begründen. Wir müssen diskutieren: darüber, ob sie die gewünschten Ziele erreichen oder schlimmstenfalls neue Gewalt erschaffen, und auch darüber, ob wir im Einzelfall die Mittel haben, die für ein sinnvolles Eingreifen nötig sind. All diese Fragen gehören – mit den handelnden Personen – in die Mitte unserer Gesellschaft…
Hier, in der Bundeswehr, treffe ich auf Menschen mit der Bereitschaft, sich für etwas einzusetzen – gewissermaßen auf ‚Mut-Bürger in Uniform‘! Man trifft diese Bereitschaft auch an anderen Orten, in vielen sozialen Berufen etwa oder wenn man die Orden verleiht, die ein Bundespräsident verleihen darf. Für solche Menschen hat das Wort ‚dienen’keinen altmodischen Klang, es ist Teil ihres Lebens oder – wie in Ihrem Fall – auch ihres Berufes. Darum trifft es ja auch die Bezeichnung ‚Staatsbürger in Uniform’so gut: Sie sind eben nicht nur Bürger, sondern auch Staatsbürger, diesem Land verpflichtet.
Ihr Werbespruch ‚Wir. Dienen. Deutschland.’trifft es auf den Punkt. Er trifft, nicht allein, was das ‚dienen’betrifft. Er lässt auch einen Patriotismus aufscheinen, der sich – frei nach Johannes Rau – darin zeigt, dass man sein Heimatland liebt, die Heimatländer der anderen darum aber nicht verachtet.
Und auch dem ‚Wir’dient diese Bundeswehr in einem ganz besonderen Sinn: Keine Institution hat so umfassend und so früh junge Menschen aus beiden Teilen Deutschlands zusammengebracht. Hier arbeiten Menschen aus dem Osten und Westen Deutschlands, aus Nord und Süd, junge und ältere, solche mit und ohne ausländische Wurzeln. Durch die Tore dieser Führungsakademie laufen täglich Militärangehörige aus rund 60 Nationen.
Gemeinsame Einsätze mit befreundeten Streitkräften und insbesondere auch Ausbildungen wie der „Lehrgang Generalstabs-/ Admiralstabsdienst mit internationaler Beteiligung“, der heute sein 50. Jubiläum feiert, sind wichtige Motoren der Verständigung zwischen den Völkern. ‚Gratulation!‘, darf man da schon sagen. Die Bundeswehr ist – gerade durch solche Lehrgänge und Begegnungen – zu einem Friedensmotor geworden. Sie befördert das große ‚Wir‘, ohne das ein dauerhafter Friede nicht möglich ist…
‚Sie stehen nicht nur persönlich vor ihren eigenen Soldaten im Rampenlicht, sondern als Verantwortliche der Bundeswehr mitten in den Fragestellungen unserer ganzen Gesellschaft.‘ – So hat es Richard von Weizsäcker vor 25 Jahren – und bis heute treffend – formuliert….“.
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