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Darf Name Copilot Germanwings genannt werden? Ja, sagt Rechtsanwalt Presserecht Jörg Thomas aus Berlin

VonTom

Mrz 27, 2015

Kommentar – Die öffentlich-rechtlichen TV-Sender ARD und ZDF tun sich schwer mit der Namensnennung des blonden deutschen Copiloten der Germanwings, dem die französische Staatsanwaltschaft vorwirft, vorsätzlich 149 Menschen in den Tod gerissen zu haben.

Mal nimmt man als Vorwand, der 27-jährige Copilot habe schließlich auch ein Recht auf Privatsphäre, dann wieder, die Tat sei ja nicht aufgeklärt und dann wieder, man müsse die Familie des Piloten schützen. Doch für den französischen Staatsanwalt steht fest: L. habe die Maschine mit 144 Passagieren und 5 Crew-Mitgliedern vorsätzlich mit 700 Stundenkilometer gegen den Berg gesteuert.

Wenn das zugetroffen hat, müsste man also von einem Massenmord sprechen. Ein mögliches schweres Verbrechen, mit dem sich deutsche Medien schwer tun. Sehr schwer. Das steht im Gegensatz zu der weltweiten Medien-Berichterstattung rund um die zerschellte Germanwings: Ob CNN oder New York Times, ob BBC oder französische TV-Sender: Hier wird der Name des im Verdacht Stehenden voll genannt.

Nicht der Suizid des einzelnen Piloten der Germanwings steht im Zentrum, sondern der Verdacht eines vorsätzlich herbeigeführten Massenmordes.

Bei einem arabischen Copiloten hätten ARD und ZDF wohl sofort von einem Terroranschlag gesprochen

Wir sagten bereits an anderer Stelle: Wäre der Copilot nicht ein weißer blonder Deutscher gewesen, sondern ein Araber, würden sich TV-Sender wie ARD und das ZDF, CNN oder BBC mit „Terror“-Sondersendungen überschlagen. Auch wäre wohl umgehend der komplette Name des „islamischen Terroristen“ genannt worden.

So aber hören wir in den deutschen nationalen TV-Sendern ARD und ZDF: Entweder gar keinen Namen des Copiloten der Lufthansa-Tochter Germanwings, oder nur ein Andreas L., der ja arm dran gewesen sei, da er unter Depressionen gelitten habe.

„Es war sein Ziel, sich und andere gezielt zu töten. Der hätte nie im Cockpit sitzen dürfen“, sagte ein Pilotenkollege auf CNN am Freitagmorgen. 72 Deutsche kamen durch den Amok- und Terrorflug um, 49 Spanier, 3 Briten, Neuseeländer, Venezuelaner, Australier, Japaner. Insgesamt 18 Länder sind betroffen. Auf CNN wurde bereits die Listen der Opfer umfangreich genannt.

Wer die Namen von Opfern möglicher Verbrechen auch gegen die Gesellschaft verschweigt, versucht das Grauen zu verschleiern. Doch in Deutschland ist die Rechtsprechung mittlerweile so, dass eine namentliche Nennung von Opfern in Medien sich nicht mehr getraut wird. Grund:

Anwälte versuchen über kostenplichtige Abmahnungen zunehmend die Pressefreiheit auszuhebeln, indem stets das angeblich verletzte Persönlichkeitsrecht eines im Verdacht stehenden angeführt wird. Auch wenn in Deutschland die Opfer des Absturzes in den Massenmedien so gut wie verschwiegen werden – weltweit agieren Medien anders. Mit Tauerblumen geschmückt werden die Bilder von Toten gezeigt.

Berliner Presseanwalt Jörg Thomas: Name darf im Falle des Copiloten genannt werden

In einem ist sich der Berliner Rechtsanwalt für Presserecht und Arbeitsrecht, Jörg Thomas, deshalb sicher: Selbstverständlich dürfe der volle Vor- und Zuname des im Verdacht stehenden Copiloten der Germanwings in der Medienberichterstattung genannt werden. So sagte der in Medienkreisen bekannte Presseanwalt gegenüber dem Antikriegsportal kriegsberichterstattung.com:

„Da auch der französische Staatsanwalt den Namen des Copiloten der Germanwings genannt hat und auch weltweit faktisch alle Medien den Namen des Piloten nennen und auch bekannt ist, dass er mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% die 150 Passagiere der Germanwings vorsätzlich mit 800 Stundenkilometer an die Bergwand geflogen hat, ist die volle Namensnennung selbstverständlich rechtens. Das beurteilt übrigens auch der Europäische Gerichtshof in ähnlichen Fällen so. Ich sehe also überhaupt keinen Grund, warum der Name nicht voll genannt werden darf.“

Wir vom Antikriegs-Blog kriegsberichterstattung.com sehen dies genauso, dass eine Namensnennung nicht nur wünschenswert, sondern absolut unerlässlich ist, möchte man den Absturz der Germanwings aufklären – worauf die Angehörigen und Freunde der Opfer ein Recht haben.

Irgendwas läuft in der Germanwings Berichterstattung in Deutschland derzeit gewaltig schief. Ein Copilot, dem ein Staatsanwalt vorwirft, 149 Menschen vorsätzlich in den Tod geflogen zu haben, ist eine Person von Öffentlichem Interesse und zwar von außerordentlich großem Öffentlichen Interesse.

Germanwings.com schreibt von „verunglückt“ statt einem möglichen kriminellen Akt

Selbst aus den Führungsetagen von Lufthansa und Germanwings ist zu hören, man gehe von einem absichtlich und kriminell herbeigeführten Absturz des Germanwings Airbus aus. Von einem „Unglück“ mag offiziell seit 24 Stunden kaum mehr jemand sprechen. Verstörend ist, dass unter germanwings.com immer noch von einem „Unglück“ (beziehungsweise konkret von „verunglückt“) die Rede ist.

Ganz abgesehen davon: In Thailand wird man selbst dann in allen Medien mit Foto abgelichtet und vollem Namen, wenn man in einen belanglosen Verkehrsdelikt involviert ist, ähnlich ist es in Südafrika oder auch den USA. Nur in Deutschland macht man einen geradezu hysterischen Presse-Eiertanz – gerne angetrieben von prominenten Presseanwälten, mit Stundensätzen von 750 Euro, die das fette Geschäft wittern.

Natürlich hat jeder ein Recht auf den gesetzlichen und gerichtlichen Schutz auf Privatsphäre. Doch im Falle des Germanwings Copiloten darf es nicht zuvorderst darum gehen. Es geht darum, dass die Pressefreiheit bei einem von der Staatsanwalt der Massentötung Bezichtigter sich zu voller Größe entfalten können muss. Nur so können die Medien ihrer Pflicht als „Vierte Gewalt im Staate“ (Grundgesetz) nachkommen. Natürlich sind bestehende Gesetze zu beachten. Doch darf dies nicht zur Ausschaltung der Pressefreiheit führen.

Vermeintliche political correctness in der Medienberichterstattung

Presseanwälte sind zweifelsohne ein wichtiger Bestandteil, um Rechte vor Gericht durchsetzen zu können. Das ist richtig und wichtig. Die Grenzen rund um das Persönlichkeitsrecht in der Medienberichterstattung sind gesetzlich längst klar umrissen: Der Schutz schmilzt je stärker dahin, je wichtiger das Öffentliche Interesse an der Aufklärung eines möglichen Straftatbestandes ist.

Wenn gegen den Geschäftsführer einer großen Firma ermittelt wird, hat auch kein Medium ein Problem, das Foto des Geschäftsführers zu veröffentlichen – ungepixelt – und den vollen Namen selbst bei einer Verdachtsberichterstattung zu nennen. Das machen von der ARD bis zum ZDF alle möglichen Medien und viele liefern sich teils noch gerichtliche Schlammschlachten, wenn es darum geht, ja nur keine Unterlassungserklärung in so einem Fall unterschreiben zu müssen.

Nur bei einem möglichen Amok-Piloten mit 149 Toten übt man sich akrobatisch darin, keine Namen zu nennen, keine Bilder der Opfer. Das ist nicht political correct, sondern eine Ohrfeige für die Opfer.

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Von Tom

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