Während des Zweiten Weltkriegs soll er als KZ-Wächter einer derjenigen gewesen sein, die unter anderem jüdische Häftlinge in Nazi-Konzentrationslagern geschunden haben. Deshalb wurde er im Mai 2011 als „NS-Kriegsverbrecher“ in München verurteilt – mit 91 Jahren.
Beobachter kritisierten den Prozess, da sie der Meinung waren, dass 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs es mehr als schwierig sei, dass Zeugen tatsächlich ein Gesicht so viele Jahre später noch einer Tat zuordnen könnten. Für KZ-Insassen war dennoch klar: John Demjanjuk sei der Mann, der als früherer KZ-Wachmann mitgeholfen habe, 27.900 Juden im polnischen Nazi-Vernichtungslager Sobibor in Gaskammern umzubringen.
Demjanjuk selbst hatte bis zuletzt die Vorwürfe über seinen Anwalt abgestritten. Offiziell hätte seine Haft bis zu seinem 96. Lebensjahr gedauert. Allerdings war er auf Grund seines sehr schlechten Gesundheitszustandes noch am Tag der Urteilsverkündung aus dem Gefängnis entlassen worden und in ein Pflegeheim im oberbayerischen Bad Feilnbach verlegt worden.
Sollen jetzt Hunderte ohne Beweise ins Gefängnis?
Jetzt wolle das Simon-Wiesenthal-Zentrum Hunderte andere ehemalige KZ-Wärter juristisch verfolgen und ebenfalls hinter Gitter bringen, verlauten Berichte. Man sehe noch nicht einmal die Notwendigkeit individuelle Schuld der Wärter beweisen zu müssen, wird aus dem Umfeld des Simon-Wiesenthal-Zentrum kolportiert. Sollte das Nazi-Jägerzentrum tatsächlich eine solche Sichtweise auf die Dinge haben, wird sich künftig zeigen, ob diese Einstellung sich mit dem deutschen Rechtssystem verträgt.
Demjanjuk selbst war jedoch auch ein Opfer: Von den Nazis als sowjetischer Kriegsgefangener festgehalten, wurde er schließlich in den Jahren 1942 und 1943 als Handlanger eingesetzt, um im KZ Dienst zu tun. Demjanjuks Sohn sagte angesichts des Todes seines Vaters: „Er liebte das Leben, die Familie und die Menschheit. Die Geschichte wird zeigen, dass Deutschland ihn als Sündenbock benutzte, um hilflose ukrainische Kriegsgefangene für die Taten von Nazi-Deutschen verantwortlich zu machen“, so John Demjanjuk Jr. „Mein Vater ist mit Gott eingeschlafen als ein Opfer und Überlebender der sowjetischen und deutschen Brutalität seit seiner Kindheit“.
Schon einmal wurde er verurteilt – in Israel
Schon im Jahr 1986 hatte sich Demjanjuks vor einem israelischen Gericht wegen Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkrieges verantworten müssen und wurde 1988 zum Tode verurteilt. Jedoch legte Demjanjuks erfolgreich Widerspruch ein und wurde 1993 auf Grund erheblicher Zweifel an seiner Täterschaft wieder frei gesprochen. Anschließend reiste er zurück in seine Heimat USA, wo er bis 2009 lebte, dem Jahr, in dem er nach Deutschland ausgeliefert wurde, wo ihm schließlich ein weiterer Nazi-Prozess gemacht wurde. Schließlich war er im Frühjahr 2011 für schuldig befunden worden – von einem Aachener Gericht.
Ob aber mit dem vor einem Jahr gesprochenen „Schuldspruch“ fast 70 Jahre nach Kriegsende tatsächlich der Gerechtigkeit verholfen wurde, darf bezweifelt werden. Denn das hieße ja, dass die Aachener Justiz, besonders die Staatsanwälte und Richter, ihre deutschen, aber auch U.S.-Amerikanischen oder israelischen Justizkollegen der vergangenen 70 Jahre, als komplett unfähig angesehen hat – was wohl eher nicht der Fall sein dürfte. Heißt: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Demjanjuk, wie es sein Sohn kritisiert, ein Verurteilter ist, für den eher die Begrifflichkeit „Showprozess“ passen dürfte.
Das bedeutet: Dass also die deutsche Justiz – im konkreten Fall die Aachener – der großen Verführen erlegen ist, in ihrem Bestreben so viele Jahre nach Kriegsende einem der monströsesten Verbrechen der Menschheitsgeschichte doch noch justiziabel Herr zu werden, die sonst übliche und notwendige Sorgfallspflicht und das Motto „Im Zweifel für den Angeklagten“ im Falle Demjanjuk unter den Tisch hat fallen lassen. Ganz abgesehen davon, dass Demjanjuk im jugendlichen Alter von erst 22 Jahren KZ-Wärter war. Dass er also haarscharf dem deutschen Jugendstrafrecht entgeht und er vorher als Ukrainer, der für die Sowjets gegen die Deutschen kämpfte, in deutscher Kriegsgefangenschaft selbst um sein Leben bangen musste, dass er selbst in Kriegszeiten um sein Überleben kämpfte.
So furchtbar es für die Betroffenen ist, so werden wir lernen müssen, uns damit abzufinden, dass es niemals ausgleichende Gerechtigkeit oder Wiedergutmachung für geschichtliche Zeitfenster geben kann, in denen man im Nachhinein das Gefühl hat, dass nicht nur Tausende Menschen fehlgeleitet waren, sondern dass die komplette Geschichte Amok gegen die Menschheit und alles was menschlich ist, gelaufen ist. Dass also Gott selbst nicht mehr anwesend war. Jetzt ist Demjanjuk in einem deutschen Pflegeheim verstorben.
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