
Die internationale Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert Russland wegen Zensur der Kriegsberichterstattung. So schreiben die Journalisten in einer Pressemitteilung: Im Zuge seines Kriegs gegen die Ukraine greife der Kreml noch weiter in die Berichterstattung russischer Medien ein.
Die Worte „Krieg“, „Angriff“ und „Invasion“ seien in Russland angeblich ab sofort mit blick auf den Ukrainekrieg Russlands verboten. Erlaubt seien „ausschließlich Informationen aus ‚offiziellen russischen Quellen‘ – dem Verteidigungsministerium.
Berichte über militärische Verluste oder die Truppenmoral unterlägen bereits seit Oktober der Geheimhaltung. Jeder Versuch einer solchen Berichterstattung könne strafrechtlich verfolgt werden oder zur Aufnahme in die Liste der ‚ausländischen Agentinnen und Agenten‘ führen.
Reporter ohne Grenzen (RSF) unterstütze die unabhängigen russischen Journalistinnen und Journalisten in ihren Bemühungen, trotz dieser Einschränkungen eine zuverlässige Berichterstattung zu gewährleisten:
„Schon vor dem Krieg wurden Journalistinnen und Reporter in Russland massiv an ihrer Arbeit gehindert“, wird RSF-Geschäftsführer Christian Mihr zitiert. „Nun ist der Informationskrieg in vollem Gange. Um den Einmarsch in die Ukraine vor der russischen Bevölkerung zu rechtfertigen, muss Präsident Putin alle Medien in den Kampfmodus versetzen, indem er die Opfer des Krieges verschweigt. Aber die Zeit der Prawda ist vorbei. Wir unterstützen unabhängige Medien, die in dieser äußerst angespannten Situation eine zuverlässige Berichterstattung bieten.“
Am 28. Februar habe, berichteten die Reporter weiter, die russische Medienregulierungsbehörde Roskomnadsor den Zugang zu mindestens sechs Online-Medien gesperrt:
Betroffen seien Nastojaschtsche Wremja, ein Online-Fernsehsender des in Prag ansässigen US-Senders Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), Krym Realii, ein RFE/RL-Ableger auf der Krim, das oppositionelle Medienunternehmen The New Times, die Studierendenzeitung Doxa, der russische Ableger der Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine und die regierungsfreundliche ukrainische Nachrichtenseite Gordon. Grund für die Sperrung sei die Berichterstattung über den Ukraine-Krieg gewesen.
Juristische Verfolgung
Die russische Medienregulierungsbehörde Roskomnadsor habe außerdem wegen der angeblichen „Verbreitung falscher Informationen“ Verfahren gegen mindestens zehn Medien, darunter der Moskauer Radiosender Echo Moskwy, die populäre Nachrichtenseite Mediazona, TV Doschd und die investigative Zeitung Nowaja Gaseta eingeleitet.
Der Herausgeber der Nowaja Gaseta, Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow, soll ein Video veröffentlicht haben, in dem er zu einer großen Antikriegsbewegung aufgerufen habe. Zudem sei die Ausgabe der Zeitung vom 26. Februar 2022 als Zeichen der Solidarität sowohl auf Russisch als auch auf Ukrainisch erschienen.
Die Zeitschrift „Journalist“ sei benfalls angeklagt worden, „vermutlich, weil sie Muratows Video zeitweise auf ihrer Website veröffentlicht“ habe. Alle angeklagten Medien hätten, so Roskomnadsor, „falsche Informationen über den Beschuss ukrainischer Städte und den Tod von Zivilistinnen und Zivilisten in der Ukraine als Folge der Aktionen der russischen Armee veröffentlicht sowie Inhalte verbreitet, in denen die laufende Operation als Angriff, Invasion oder Kriegserklärung bezeichnet wird“.
Andere Medien löschten Inhalte, nachdem sie von Roskomnadsor gewarnt worden waren, weil sie befürchteten, dass ihre Websites gesperrt oder sie mit einer Geldstrafe von bis zu 5 Millionen Rubel (mehr als 50.000 Euro) belegt werden könnten. Das Online-Medium Prospekt Mira aus Krasnojarsk habe einen Artikel über Explosionen in ukrainischen Städten löschen müssen.
Auch die sozialen Medien seien ins Visier genommen worden, berichtet Reporter ohne Grenzen weiter. Die Provider eien angewiesen worden, den Zugang zu Twitter einzuschränken.
Auch den Zugang zu Facebook habe Roskomnadsor beschränkt, nachdem Facebook entschieden habe, Inhalte bestimmter staatlicher und regierungsnaher Medien seltener in den Suchergebnissen anzuzeigen.
Pavel Durov, der Gründer des verschlüsselten Nachrichtendienstes Telegram, soll zudem erklärt haben, den Zugang zu seiner Plattform in der Ukraine und in Russland wegen der unkontrollierten Verbreitung von Fake News auf vielen Telegram-Kanälen einzuschränken. Später soll er diese Entscheidung aber angeblich wieder zurückgenommen haben.
Verhaftungen von Journalistinnen und Reportern
Mehrere Medienschaffende seien, berichtet Reporter ohne Grenzen weiter, wegen ihrer Berichterstattung über den Krieg verhaftet worden. Polina Ulanowskaja von der Website SotaVision und mindestens drei weitere Reporterinnen und Reporter lokaler Nachrichtenseiten – Walerija Dulskaja von 93.ru und Walerija Kirsanowa und Nikita Sirjanow von Yuga.ru – seien am 27. Februar 2022 bei der Berichterstattung über eine Anti-Kriegs-Demonstration in der südwestlichen Stadt Krasnodar festgenommen worden. Sie seien jedoch angeblich am Abend wieder freigelassen worden.
Drei Reporter des russischen Dienstes von RFE/RL, Radio Swoboda – Iwan Woronin, Artjom Radygin und Nikita Tatarskij – seien zudem am 24. Februar 2022 bei der Berichterstattung über eine Anti-Kriegs-Demonstration in Moskau verhaftet worden. Sie hätten angeblich sechs Stunden auf einer Polizeiwache verbracht, bevor sie nach dem Einschreiten ihrer Anwältinnen und Anwälte ohne Anklage freigelassen worden seien.
Die Journalisten der Nowaja Gaseta, Ilya Asar und Iwan Schilin, sowie zwei Journalisten von Radio Swoboda, der Reporter Sergei Chasow-Kassia und der Kameramann Andrei Kiselew, hätten zudem am 26. Februar 2022 mehr als zwei Stunden auf einer Polizeiwache verbringen müssen, nachdem sie bei der Vorbereitung einer Antikriegsdemonstration in Belgorod, einer Stadt nahe der ukrainischen Grenze, festgenommen worden waren. Als die beiden Nowaja-Gaseta-Journalisten ein Krankenhaus betreten hätten, um dort eingelieferte Verletzte zu interviewen, seien sie von einem Wachmann aufgefordert worden, das Krankenhaus zu verlassen.
Trotz der Risiken kritisch über den Angriffskrieg des Putin-Regimes zu berichten, hätten, führt Reporter ohne Grenzen weiter aus, Journalistinnen und Journalisten gegen dieses Vorgehen des Staates protestiert.
Journalistinnen und Journalisten seien aber auch dann verhaftet worden, weil sie ein Plakat hochgehalten hätten, auf dem sie die Kriegszensur in Russland kritisierten hätten – das sei die einzige erlaubte Form des Protests.
Plakate seien noch erlaubt als Ausdruck des Protestes
Auf andere, wie Elena Chernenko, sei jedoch weiter starker staatlicher Druck ausgeübt worden. Die Leiterin der Auslandsredaktion der Wirtschaftszeitung Kommersant sei aus dem Pool der vom Kreml akkreditierten Reporterinnen und Reporter ausgeschlossen worden, weil sie einen offenen Brief gegen den Krieg veröffentlicht hatte, der von mehr als 300 Journalisten unterzeichnet worden war.
Die staatlichen Medien Russlands zögen unterdessen „in die Schlacht“, bilanziert Reporter ohne Grenzen: Der Fernsehsender Rossija 1 habe am 27. Februar 2022 angeblich beschlossen, deutlich mehr Sendezeit für Regierungspropaganda einzuräumen, etwa für die Talkshow des TV-Stars Wladimir Solowjew, gegen den internationale Sanktionen verhängt worden seien. In seiner Sendung am 24. Februar 2022 habe er gesagt: „In Russland sollten russische Beamte und Journalisten beseitigt werden, wenn sie Putin nicht unterstützen.“
Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehe Russland nach Angaben von Reporter ohne Grenzen angeblich auf Platz 150 von 180 Staaten.
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